Clovis Dardentor
Marcel Lornans und Jean Taconnat bis zu seiner Plattform ersteigen, um einen Gesammtüberblick auf Stadt und Land zu gewinnen, da er sich dazu besser eignete, als eine der Thurmspitzen der Kathedrale.
Die Galera blieb vor der steinernen Grabenbrücke stehen und dem Kutscher wurde bedeutet, hier zu warten, während die Fahrgäste das Castillo mit dem Führer besuchten.
Das konnte nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, denn es handelte sich ja nicht darum, alle Ecken und Winkel des alterthümlichen Bauwerks zu durchstöbern, sondern nur die Aussicht bis zum fernen Horizont zu genießen.
Nach flüchtiger Besichtigung einiger Zimmer im Erdgeschoß, fragte Clovis Dardentor:
»Nun, meine jungen Herren, wollen wir hinaufklettern?
– Ganz wie Sie wünschen, antwortete Marcel Lornans, nur kein zu langer Aufenthalt. Es wäre doch arg, wenn Herr Clovis Dardentor, nachdem er schon einmal die Abfahrt des »Argeles« verfehlt hatte…
– Jetzt zum zweiten Male zu spät käme! fiel der Perpignaneser lachend ein. Nein, das wäre um so unverzeihlicher, da ich in Palma keine Schaluppe fände, um dem Dampfer nachzueilen. O, was sollte dann aus dem armen Désirandelle werden?«
Die Gesellschaft begab sich also nach dem Huldigungsthurme, der durch zwei Zugbrücken mit dem Castillo in Verbindung stand.
Dieser runde und sehr massive, aus Backsteinen von warmer Färbung erbaute Thurm steht mit dem Fuße im Wallgraben. Seine südwestliche Seite ist in der Höhe der Grabenkante von einem röthlichen Thore durchbrochen. Darüber befindet sich ein Rundbogenfenster und über diesem wieder ein Paar drohende Schießscharten. Nachher folgen nach oben hin die Mauervorsprünge, die die Brustwehr der Plattform tragen.
Dem Führer nachgehend, erstiegen Clovis Dardentor und seine Begleiter eine in der Mauer ausgesparrte und durch die erwähnten Schießscharten spärlich erleuchtete Wendeltreppe. Diese führte ziemlich steil hinauf und reichte bis zur Plattform selbst.
Der Führer hatte in der That nicht übertrieben. Von dieser Höhe aus bot sich eine überraschend prächtige Aussicht.
Vom Fuße des Castillo an fällt der, mit schwarzem Mantel von Aleppopinien bedeckte Hügel ab. Weiterhin taucht das Bild der reizenden Vorstadt Terreno auf. Tief unten glitzert die bläuliche Bai, da und dort von weißen Punkten unterbrochen, die man für Seevögel halten möchte, die aber nur die Segel flinker Tartanen sind. Noch weiter hin und zur Seite zeigt sich die amphitheatralisch gelegne Stadt mit ihrer Kathedrale und den übrigen Kirchen; ein glänzendes Gesammtbild, gebadet in der leuchtenden Atmosphäre, die die goldnen Strahlen der Sonne, wenn sie nach dem Horizont hinabsinkt, blendend durchflimmern. Ganz draußen lag endlich das unbegrenzte Meer, da und dort belebt von Fahrzeugen mit weißem Segelwerk oder von Dampfern, die ihre langen dunkeln Rauchsäulen am Himmel hin zogen. Von Minorca im Osten und von Ivitza im Südwesten war nichts zu sehen; im Süden dagegen erblickte man noch die steile Insel Cabrera, wo so viele Franzosen in den Kriegen des ersten Kaiserreichs gar elend umkamen.
Vom Thurme des Castillo de Bellver aus gesehen, gewinnt man durch einen Blick nach Norden eine Vorstellung davon, was Majorca ist, die einzige Insel des Archipels nämlich, die wirkliche Sierras (Höhenzüge) mit immergrünen Eichen und Nesselbäumen besitzt, zwischen denen Porphyr-, Grünschiefer-und Kalksteinnadeln emporragen. Auch die vorgelagerte Ebne zeigt viele Einzelhöhen, auf den Balearen »Puys« genannt, von denen fast jede mit einem Schloß, einer Kirche oder einer Eremitage besetzt ist. Hierzu kommen noch rauschende Bergbäche in vielfachen Windungen, wovon es nach Aussage des Führers auf der Insel über zweihundert geben soll.
»Für Herrn Dardentor zweihundert Gelegenheiten, hineinzufallen, dachte Jean Taconnat, wir werden aber sehen, daß er dieses Kunststück auch nicht ein einziges Mal fertig bringt!«
An die neueste Zeit erinnerte in dem Landschaftsbilde nur die Eisenbahn, die durch den innern Theil von Majorca führt. Sie verläuft von Palma nach Alcudia durch die Bezirke von Santa-Maria und Benisalem, und man spricht davon, ihr Zweigstrecken durch die malerischen Thäler der Bergkette anzugliedern, die ihre höchsten Spitzen bis zu tausend Metern über dem Meere emporsendet.
Nach seiner Gewohnheit gerieth Clovis Dardentor bei Betrachtung des herrlichen Bildes geradezu in Begeisterung. Marcel Lornans und Jean Taconnat theilten übrigens
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