Clovis Dardentor
vorwärts, ohne sich von drei Revolverkugeln Taconnat’s aufhalten zu lassen.
Alles das hatte sich in wenigen Secunden abgespielt, und ehe die Gewehre wieder geladen werden konnten, waren die Raubthiere an der Baumgruppe angelangt.
Marcel Lornans und Jean Taconnat wurden von der Löwin umgerannt, die schon die Tatzen über sie erhoben hatte, als eine Kugel Moktani’s sie auf einen Moment ablenkte. Dann stürzte sie sich aber wieder, den Angriff erneuernd, auf die am Boden liegenden jungen Leute.
Das Gewehr des Herrn Dardentor krachte ein zweites Mal. Die Kugel schlug der Löwin in die Brust, doch ohne das Herz zu treffen, und wenn sich die beiden Vettern jetzt nicht aufspringend etwas zur Seite geflüchtet hätten, wären sie gewiß nicht mit gefunden Gliedern davongekommen.
Trotz der schweren Verwundung war die Wuth der Löwin noch immer zu fürchten. Der Löwe, der jetzt an ihrer Seite war, stürzte mit ihr auf die Gegner los, unter denen die Todesangst der Pferde und andern Gespanne die Verwirrung und das Entsetzen noch vermehrten.
Von dem Löwen gepackt, wurde Moktani ganz blutüberströmt gegen zehn Schritte weit hingezerrt. Jean Taconnat, den Revolver in der Hand, und Marcel Lornans mit dem neugeladenen Gewehre eilten wieder der Böschung zu. Da donnerten aber zwei Schüsse fast gleichzeitig und machten der Löwin ein Ende, die mit einem letzten Satze fast schon leblos zusammenbrach.
Mit einem zwanzig Fuß weiten Sprunge fiel der Löwe jetzt in höchster Wuth über Dardentor, der, unfähig von seiner Waffe Gebrauch zu machen und zur Erde stürzend, in Gefahr war, von der Last des Thieres erdrückt zu werden…
Jean Taconnat stürmte bis auf drei Schritte vor dem Löwen auf ihn zu und – er dachte jetzt gewiß nicht an die im Civilgesetzbuch vorgeschriebenen Bedingungen einer Adoption – drückte am Abzug seines Revolvers, der im Augenblicke der höchsten Noth… versagte…
Vor Angst unsinnig, hatten die Pferde und Gespanne sich voneinander losgerissen und jagten über die Felder hin. Moktani, der seine Waffe verloren hatte, schleppte sich wieder nach der Böschung, während Herr Désirandelle, Herr Oriental und Agathokles selbst zitternd noch vor den Damen standen…
Clovis Dardentor hatte sich nicht aufrichten können, und schon wollte der Löwe die Tatze in seine Brust einschlagen, als noch ein Schuß krachte…
Mit durchbohrtem Schädel warf das gewaltige Thier den Kopf nach rückwärts und fiel todt an der Seite des Perpignanesers nieder.
Louise Elissane war es gewesen, die Moktani’s Revolver aufgehoben und aus unmittelbarer Nähe auf das Thier gefeuert hatte.
»Gerettet… durch sie gerettet! rief Dardentor. Und sie steckten nicht in Schaffellen und hatten keine Rollen an den Beinen, diese Löwen hier!«
Dann erhob er sich mit einem Sprunge, der dem neben ihm liegenden Könige der Thiere keine Schande gemacht hätte.
Was also weder Jean Taconnat noch Marcel Lornans hatte thun können, das hatte das junge Mädchen gethan! Wohl verließen sie gleich danach die Kräfte und sie wäre umgefallen, wenn Marcel sie nicht mit den Armen aufgefangen und zu ihrer Mutter geführt hätte.
Jede Gefahr war vorbei, und was hätte Herr Dardentor jetzt mehr sagen können, als jene ersten, an Louise Elissane gerichteten Worte, die ihm tief aus dem Herzen gekommen waren?
So ging denn unser Perpignaneser mit Patrice und den Eingebornen zunächst daran, die entflohenen Pferde und Maulthiere wieder einzufangen. Das gelang ihnen bald, denn die durch den Tod des Löwenpaars beruhigten Thiere kamen schon von selbst nach der Straße zurück.
Der an Hüfte und Armen schwerverletzte Moktani wurde auf den einen Wagen niedergelegt, und Patrice mußte seinen Platz zwischen beiden Höckern des Meharis einnehmen, wo er sich als eben so vollendeter Sportsman erwies, als wenn er einen Vollblut-Araber geritten hätte.
Als Marcel Lornans und Jean Taconnat ihre beiden Pferde wieder bestiegen hatten, sagte der zweite zu dem ersten:
»Nun siehst Du… da hat er auch noch uns Beide gerettet, der ostpyrenäische Neufundländer! Nein, mit einem solchen Menschen ist nichts anzufangen!
– Rein gar nichts!« bestätigte Marcel Lornans.
Die Karawane setzte sich wieder in Gang. Eine halbe Stunde später erreichte sie Sidi-Lhassen und stieg um sieben Uhr am besten Hôtel von Sidibel-Abbès ab.
Zunächst wurde ein Arzt geholt, um Moktani in Behandlung zu nehmen, und dieser erkannte, daß die Verwundungen des Führers keine
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