Clovis Dardentor
dem und jenem in Erfahrung
gebracht hatte; wie lachte er über die Familie Désirandelle,
über den Herrn Dardentor, der nicht Wort gehalten hatte,
wie rühmte er im voraus das Dinner, das vorzüglich sein
werde, versicherte, daß die ›Argèlès‹ morgen früh in Sicht
der Balearen schwimmen werde, wo sie dann einen mehr-
stündigen, für alle Touristen höchst reizvollen Aufenthalt
nehme . . . kurz, er ließ seiner Schwatzhaftigkeit, oder um
ein Wort zu gebrauchen, das seinen Redeschwall noch bes-
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ser kennzeichnet, seiner chronischen Logorrhö völlig die
Zügel schießen.
»Und bevor Sie sich einschifften, meine Herren«, fragte
er aufstehend, »haben Sie wohl Zeit gefunden, Cette in Au-
genschein zu nehmen?«
»Nein, Herr Doktor, zu unserem Bedauern nicht«, ant-
wortete Marcel Lornans.
»Oh, das ist schade! . . . Die Stadt lohnt sich der Mühe!
. . . Und haben Sie Oran schon einmal besucht?«
»Noch nicht einmal im Traum!« erwiderte Jean Ta-
connat.
Jetzt kam ein Schiffsjunge, der Doktor Bruno zu Kapi-
tän Bugarach bestellte. Der Schiffsarzt verließ die beiden
Freunde, doch nicht ohne sie noch mit neuen Höflichkeiten
zu überschütten und mit der Absicht, ein Gespräch wieder
anzuknüpfen, aus dem er noch so vieles erfahren konnte.
Es erscheint hier am Platz, das, was er über die Vergan-
genheit und die Gegenwart der beiden jungen Leute nicht
gehört hatte, kurz zusammenzufassen.
Marcel Lornans und Jean Taconnat waren Geschwis-
terkinder durch ihre Mütter, zwei Schwestern und gebo-
rene Pariserinnen. Beide verloren ihren Vater sehr früh
und wuchsen unter mäßigen Vermögensverhältnissen auf.
Erst Zöglinge derselben Schule, wandte sich Jean Taconnat
nach der Absolvierung der höheren Handelswissenschaft
zu, während Marcel Lornans sich dem Studium der Rechte
widmete. Sie gehörten von zu Hause den kleinbürgerlichen
Handelskreisen von Paris an und hatten keinen hohen Ehr-
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geiz. Eng verbunden, gleich zwei Brüdern im selben Haus,
empfanden sie für einander die wärmste Zuneigung, eine
Freundschaft, deren Band nichts würde zerreißen können,
obwohl ihre Charaktere starke Unterschiede zeigten.
Der nachdenkende, aufmerksame und ordnungsliebende
Marcel Lornans hatte das Leben frühzeitig von seiner erns-
ten Seite angefaßt.
Jean Taconnat dagegen war der richtige Gassenbube,
ein entsprungenes Fohlen von permanentem Übermut. Er
liebte das Vergnügen vielleicht etwas mehr als die Arbeit
und war der, der das Haus immer in Bewegung und in lus-
tiger Stimmung hielt. Zog er sich durch seine ungestüme
Lebhaftigkeit auch zuweilen Vorwürfe zu, so verstand er es
doch von Grund auf, sich dafür Verzeihung zu erwirken. Im
übrigen aber besaß er, ganz wie sein Vetter, Eigenschaften,
die seine Fehler reichlich aufwogen.
Beide besaßen ein gutes, ehrliches und edles Herz. Einer
wie der andere verehrte seine Mutter aufrichtig und man
wird es Frau Lornans und Frau Taconnat verzeihen dürfen,
ihre Kinder bis zur Schwäche geliebt zu haben, da diese das
wenigstens nicht mißbraucht hatten.
Mit 20 Jahren traten sie als »Dispensierte« (etwa »Frei-
willige«) ins Heer ein, wo sie nur 1 Jahr unter der Fahne zu
verbringen hatten. Ihre Zeit dienten sie in einem Jägerre-
giment ab, das nicht weit von Paris in Garnison lag. Auch
hier wollte es das Glück, daß sie dieselbe Kompanie und
dasselbe Zimmer teilten. Das Leben im Quartier war ih-
nen keineswegs unangenehm. Sie verrichteten ihren Dienst
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mit Eifer und gutem Humor, waren vortreffliche Soldaten,
die von ihren Vorgesetzten belobigt, von ihren Kameraden
geliebt wurden, und wären sie von Kindheit auf mehr dar-
auf hingewiesen worden, hätten sie sich wohl nicht ungern
dem Kriegshandwerk gänzlich gewidmet. Während ihres
Urlaubs hatten sie zwar noch einige Stubenarreste abzuma-
chen – und wer sich solche nicht zuzieht, scheint bei den
Soldaten nicht gut angeschrieben zu stehen –, dennoch ver-
ließen sie schließlich das Regiment mit dem Zeugnis »gut«
in der Tasche.
Ins mütterliche Haus zurückgekehrt, sahen Marcel
Lornans und Jean Taconnat, die jetzt 21 Jahre zählten, wohl
ein, daß die Stunde gekommen war, an ernsthafte Arbeit zu
gehen. In Übereinstimmung mit ihren Müttern entschie-
den sich beide für den Eintritt in ein hochgeachtetes Han-
delshaus. Hier sollten sie sich zuerst über den ganzen Ge-
schäftsgang unterrichten und sich dann
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