Clovis Dardentor
ihn bei der leib-
lichen und geistigen Unruhe seiner Eltern so gleichgültig
sah, gewiß verneinen mögen.
Frau Désirandelle war am Ende ihrer Kräfte, und sie
konnte unter schwerem Aufseufzen nur die Worte rufen:
»Meine Kabine! . . . Meine Kabine!«
Der Landgang des Dampfers war eben von einigen Leu-
ten nach dem Kai zurückgezogen worden. Nachdem der
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Dampfer sich am Vorderteil ein wenig von der Mauer ent-
fernt hatte, machte er eine Wendung, um in die Richtung
nach der Durchfahrt zu liegen zu kommen. Die Schraube
arbeitete erst langsam rückwärts und erzeugte auf der
Oberfläche des alten Bassins einen weißlichen Wasserwir-
bel. Die Dampfpfeife ließ ihren ohrzerreißenden Ton ver-
nehmen, um in der Durchfahrt freies Fahrwasser für den
Fall zu finden, daß noch ein Schiff hätte von außen da ein-
laufen wollen.
Herr Désirandelle warf noch einen letzten, verzweifel-
ten Blick auf die Menschen, die der Abfahrt des Dampfers
beiwohnten, und dann längs des Kais von Perpignan bis zu
dessen Ende hin, wo der Nachzügler hätte auftauchen kön-
nen . . . Mit einem Boot wär es ihm ja auch jetzt noch mög-
lich gewesen, die ›Argèlès‹ zu erreichen.
»Meine Kabine . . . meine Kabine!« murmelte Frau Dési-
randelle mit fast ersterbender Stimme.
Ärgerlich über den widrigen Zufall und erbost über das
Jammern seiner Frau, hätte er diese samt Herrn Darden-
tor am liebsten zum Henker gejagt. Das Dringlichste war
jedoch, Frau Désirandelle wieder in ihre Kabine zu schaf-
fen, die sie gar nicht hätte verlassen sollen. Er bemühte sich
also, sie auf der Bank, auf der sie halb ohnmächtig lag, em-
porzurichten. Dann faßte er sie um die Taille und trug sie
mit Hilfe einiger Stewards vom Oberdeck nach dem Ver-
deck hinab. Nachdem sie so durch den Spielsalon und bis in
ihre Kabine geschleppt worden war, wurde sie zum Teil ent-
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kleidet, niedergelegt und in Decken gewickelt, um ihre halb
entschwundene Körperwärme wieder herzustellen.
Nach Vollendung dieser beschwerlichen Operation stieg
Herr Désirandelle wieder zum Oberdeck hinauf, von wo aus
seine wütenden und drohenden Blicke die Hafendämme des
alten Bassins überflogen.
Der Nachzügler war nicht da, und wäre er dagewesen,
was hätte er anders tun können, als seine Schuld eingeste-
hend sich an die Brust zu schlagen?
Nachdem die ›Argèlès‹ gewendet hatte, dampfte sie mit-
ten in die Durchfahrt hinein, wobei ihr eine Menge Leute,
die sich teils auf dem Hafendamm, teils um den Molo Saint-
Louis drängten, noch Abschiedsgrüße zuwinkten. Dann fiel
sie leicht nach Backbord hin ab, um einer Goélette auszu-
weichen, die eben ins Bassin eingelaufen war. Nach Passie-
rung der Durchfahrt endlich ließ Kapitän Bugarach so steu-
ern, daß sie nördlich vom Wellenbrecher vorüberfuhr und
das Cap von Cette mit halber Dampfkraft umschiffte.
2. KAPITEL
Worin dem Leser die Hauptperson dieser Erzählung
wirklich vorgestellt wird
»Da wären wir nun unterwegs«, sagte Marcel Lornans, »un-
terwegs nach . . .«
»Dem Unbekannten«, ergänzte Jean Taconnat die Worte
des Freundes, »nach dem Unbekannten, das man durchstö-
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bern muß, um etwas Neues zu finden, hat Beaudelaire ge-
sagt.«
»Nach dem Unbekannten, Jean? . . . Hoffst du dem bei
einer einfachen Fahrt von Frankreich nach Afrika, auf einer
Reise von Cette nach Oran, zu begegnen?«
»Handelte es sich nur um eine Seefahrt von 30 bis 36
Stunden, Marcel, um eine einfache Reise, deren erstes und
vielleicht einziges Ziel Oran wäre, dann möchte ich das be-
haupten. Doch weiß man denn, wenn man abreist, wohin
man kommt?«
»Gewiß, Jean, mindestens wenn ein Dampfer dich dahin
befördert, wohin du dich begeben sollst, soweit nicht Un-
fälle auf dem Meer . . .«
»Oh, wer spricht denn davon, Marcel?« unterbrach ihn
Jean Taconnat wegwerfenden Tons. »Seeunfälle, ein Zu-
sammenstoß, ein Schiffbruch, eine Kesselexplosion und so
eine 20jährige Robinsonade auf wüster Insel . . . ich danke
bestens! . . . Nein, das Unbekannte – was mir übrigens we-
nig Kopfschmerzen macht –, das ist das X des Lebens, das
Geheimnis unserer Bestimmung, das die Menschen in al-
ten Zeiten auf das Fell der Ziege des Amalthäos gravierten,
das im großen Buch von Oben geschrieben steht, das wir
trotz der besten Brillen nicht lesen können; das ist die Urne,
worin die Lose des Lebens liegen, die die Hand des
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