Club der gebrochenen Herzen
sich seine Stimmung. Das war immer der Fall, wenn er seinem Computer entfliehen konnte. Es war ein herrlich sonniger Tag im frühen Mai. Er spazierte um die Ecke, vorbei an einer Reihe von Geschäften – dem jamaikanischen Patties-Takeaway, dem Afro-Friseursalon mit diversen Perücken in der Auslage, dem unpassend benannten Elite-Mini-Taxis. Bald wären sie verschwunden; der Block war für ein Bauprojekt vorgemerkt. Die Immobilienpreise waren seit der Olympiade in die Höhe geschnellt, und die Jungbanker zogen ein. Harold schaute mit Rührung auf die aussätzigen, todgeweihten Läden. Obwohl er nie das Bedürfnis nach einer Haarverlängerung verspürt hatte, würde er sie nach deren Weggang vermissen. Die ganze Nachbarschaft wurde erneuert – jamaikanische Blätterteigtaschen raus, Pesto rein. Es war sogar die Rede von einem Waitrose-Gourmetmarkt.
Und der wurde tatsächlich auf dem Platz des Gartencenters gebaut. Harold blieb stehen und fluchte. Er war seit Monaten nicht mehr in der Dalston Lane gewesen, und der Ort war nicht wiederzuerkennen. Der Verkehr donnerte vorbei, alser auf den skelettartigen Supermarkt schaute. Dahinter erhob sich ein brandneuer Block mit Luxus-Apartments, versehen mit einem Spruchband: NUR NOCH SECHS ÜBRIG . Auf der Straßenseite gegenüber war ein neues Hotel, das über Nacht hochgeschossen sein musste.
Aus einer der Drehtüren kam Pia. Sie trug ihren Helm und war in Begleitung einer Japanerin. Sie waren so vertieft in ihr Gespräch, dass sie fast mit einer Gruppe von Geschäftsleuten zusammenstießen, die gerade das Hotel betraten. Harold winkte Pia zu, aber sie sah ihn nicht. Er machte einen Schritt vom Bürgersteig auf die Straße, ein LKW hupte laut, und er sprang zurück.
Durch den Verkehr konnte er sehen, wie Pia sich beugte, um ihren Roller aufzuschließen. Die Japanerin öffnete den Sitz und nahm einen zweiten Helm heraus. Sie war zierlich und in Schwarz gekleidet. Sie schwang das Bein über den Roller, und beide brausten davon, holperten über die Bodenschwellen, umkurvten die neu gepflanzten Bäume und entschwanden durch eine entfernte Ausfahrt.
Pia kam nicht vor neun zurück. Sie warf sich aufs Sofa, fuhr mit der Hand durch ihr Haar und schüttelte es wie ein Hund. Ihre Nase war sonnenverbrannt.
»Herrgott! Was für ein Tag«, stöhnte sie. »Es tut mir so leid, Liebling. Schieb die Schuld auf diese beknackten Bullington-Club-Tories mit ihrer beknackten Banausenregierung. Den Kultusminister sollte man abschießen.«
Harold berichtete ihr von den Hennen. Sie sprang auf und stürzte hinaus. Er gesellte sich am Gehege zu ihr. Die Nachtdämmerung war da, und die Hennen hatten sich zu Bett begeben; durch das Fenster des Hühnerstalls konnte er das Schimmern ihrer kahlen Körper sehen, wie sie Seite an Seite auf der Hühnerstange saßen.
»Gute Nacht, Mädels«, sagte Pia. »Ihr werdet hier sehr glücklich sein.«
Er informierte sie über die Nahrungssituation und dass er schließlich bei Londis Snacks gekauft hatte – Sonnenblumenkerne und Erdnüsse.
Pia lächelte. »Du bist so lieb.« Sie legte den Arm um seine Taille, als sie dastanden und ins Gehege schauten. Lieb ?
»Übrigens, was hast du in dem Hotel gemacht?«
Sie hielt inne, die Hand auf seiner Hüfte. »Was?«
»Ich hab dich mit einer Japanerin gesehen.«
»Oh, sie.« Pia löste sich und ging zum Haus »Sie ist die Direktorin, von der ich dir erzählt habe«, rief sie über die Schulter. »Sie probt gerade Der Schrei . Nach dem Munch-Gemälde.«
Er folgte ihr in die Küche. Sie rumorte im Schrank.
»Haben wir Ovomaltine?«, fragte sie.
» Ovomaltine ?«
»Mir ist danach.«
Harold schaute auf ihre Rückenansicht. Sie saß in der Hocke und prüfte die Büchsen und Gläser.
»Und was hast du mit ihr unternommen?«, fragte er.
»Mit wem?«
»Mit der Japanerin.«
Sie nahm ein Glas heraus und untersuchte es.
»Das ist Marmelade«, sagte er.
»Ich habe sie zum Treffen mitgenommen. Sie ist fast gestorben vor Langeweile in dem Hotel.«
Harold war verdutzt. »Sie ist fast gestorben vor Langeweile,und du hast sie zu einer achtstündigen Sitzung über die Kürzungen des Arts Council mitgenommen?«
»Sie haben dasselbe Problem in Japan.« Pia machte den Schrank zu und stand auf. »Keine Ovomaltine.« Sie schaute sich in der Küche um und schnüffelte. »Hier riecht es komisch.«
»Die Katze hat in die Saatkiste gekackt, ich hab's weggeräumt. Die Sämlinge musst du leider abschreiben.«
Pia setzte
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