Club der gebrochenen Herzen
mit, es war, als watete er durch Melasse.
»Möchten Sie eine Tasse Tee?«, fragte er die Sanitäter.
Sie schüttelten den Kopf. Einer ging nach draußen und kehrte mit einem Apparat zurück.
Wie hatte er nur so gedankenlos sein und seine Mutter derart erschrecken können? Er wusste natürlich nicht, dass sie früher nach Hause kommen würde, aber das war alles seine Schuld. Nolan stand hilflos mit herabhängenden Armen da. Amy, ein Mädchen, das er kaum kannte, saß im Sessel, die Arme ums Knie, das Gesicht undurchschaubar. Er hatte keine Ahnung, was er ihr oder seiner Mutter sagen sollte, deren Augen zugekniffen waren, oder auch den beiden emsigen Sanitätern, von denen ihr Leben abhing.
Er hockte sich an die Seite seiner Mutter. »Alles wird gut, Ma«, sagte er.
Sie öffnete ein Auge. »Ich liebe dich, mein Sohn«, sagte sie.
Sohn? Nolan war verblüfft. Sie klang wie eine aus ihren nachmittäglichen Soaps.
»Ich liebe dich auch«, flüsterte er. Er küsste ihre Wange; ihre Haut war klamm wie Kitt. Das Ganze war irgendwie theatralisch; es passierte nicht wirklich, nicht in der Realität. Sie spielten alle in einem Film, und Amy stand mit ihrem Make-up-Set bereit. Gleich würde jemand Cut! rufen, und die beiden Sanitäter würden aufspringen, seine Mutter sich hochsetzen und einen Witz machen. Alle würden gemütlich etwas essen gehen, sein Magen rumpelte schon so laut, dass er rot wurde.
Shirley wurde nach ihren Medikamenten befragt. Sie verdrehte die Augen zu Nolan hin. »Sag du es ihnen, Liebling«, flüsterte sie und wandte sich an die Sanitäter. »Er kümmert sich um mich.«
»Losartan … Buspiron …«, sagte Nolan und hakte sie mit dem Finger ab. »Aloe-Vera-Darmreinigungstabletten … Dormidina-Schlaftabletten …«
Während er sie aufzählte, sah er, wie sich die Sanitäter vielsagende Blicke zuwarfen. Er wusste, was sie dachten. Was haben wir denn hier – eine hundertprozentige Hypochonderin . War da eine Spur von Verachtung? Und Seht euch den an , Mother's Little Helper ; Mannomann, hat die dich am Wickel! Werd erwachsen, Kumpel!
Nolan wurde von Neid gepackt auf ihre Arbeit. Sie hatten Arbeit. Sie retteten Leben, sie waren Teil eines Teams. Einer Gang. Sie waren Helden! Sie wurden gebraucht . Wer brauchte ihn? Da war seine Mutter. Ihr Bedarf war gewaltig, so verschlingend, dass sie ihn lebendig auffraß. Wenn es ihr gutgeht, würden Sie weggehen . Und jetzt ging sie von ihm weg, als hätte sie Amys harsche und doch wahre Worte zufällig gehört und böte ihre eigene Lösung an.
Liebe für seine Mum übermannte ihn, sie hatte sich immer um ihn gekümmert. Genau wie er sich um sie, deren Leben sich nicht so, wie erhofft, entwickelt hatte. Er schaute auf ihre blutroten Fußnägel, so artig lackiert. Heute konnte sie ihre Füße nicht mehr erreichen; ihre Freundin kam vorbei und machte ihr die Pediküre. Eine der seltenen Gelegenheiten, wo er sie lachen hörte. Der Anblick ihrer fallen gelassenen, mit Pailletten besetzten Riemchensandalen gab ihm einen Stich, als wären sie die Überreste eines Autounfalls.
Nolan wusste, er müsste eigentlich seine Tante Julia anrufen und ihr mitteilen, was passiert war, aber er konnte sich nicht durchringen, zum Hörer zu greifen. Wenn er es in Worte fasste, würde er die ganze Situation real machen. Außerdem wurde gerade ein Rollstuhl hereingebracht.
»Ich geh wohl besser«, sagte Amy.
»Nein, nicht«, stieß er aus.
»Aber –«
»Bitte, kommen Sie mit ins Krankenhaus.«
Amy schaute ihn überrascht an. Er wollte sagen – Sie hängen mit drin, bitte, lassen Sie mich nicht allein.
Sie saß da und biss auf einem Fingernagel herum. Hochblickend sagte sie: »Ich habe das Auto draußen stehen, ich könnte Ihnen zum Krankenhaus folgen und Sie später nach Hause bringen.«
Was, wenn sie stirbt? Aber vielleicht würde seine Mutter gar nicht sterben, es hieß nur, sie bräuchte weitere Untersuchungen.
»Was ist mit Ihrem Abendessen?«, fragte er dumm.
»Abendessen?« Amy blickte ihn an, genauso dumm. Sie schaute auf ihre Uhr. »Es ist neun, ich hab's verpasst.« Sie nahm eine Dose mit Creme aus ihrem Make-up-Set. »Zuerst einmal mache ich Ihnen das Zeugs da aus dem Gesicht, sonst werden Sie noch in die Notaufnahme eingeliefert.«
Die Sanitäter kicherten. Sie hievten Shirley auf den Rollstuhl und wiesen Nolans Angebot zu helfen ab. Ihm wurde klar, dass das, was sie hier taten, ihre normal anfallende Arbeit des Abends war.
Seine Mutter wurde in
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