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Club Kalaschnikow

Club Kalaschnikow

Titel: Club Kalaschnikow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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brauchte nicht anzustehen, benutzte fast nie öffentliche Verkehrsmittel, wußte aber aus den Gesprächen im Theater, in der Garderobe oder auf der Straße um die katastrophale Situation. Die Mädchen aus dem Corps de Ballet trugen gestopfte Strumpfhosen. Der Kauf von einem Paar Stiefel wurde zu einem Ereignis, das in seiner Bedeutsamkeit mit einer Hochzeit, einem Begräbnis oder der Geburt eines Kindes vergleichbar war. Katjas Vater brachte aus der Kantine des Filmverbandes nun keinen Kaviar oder Stör mehr mit, sondern Butter und bulgarische Zigaretten.
    Auf dem Puschkinplatz fanden spontane Kundgebungenstatt, die Menschen, die sich an das halbsatte sowjetische Schweigen gewöhnt hatten, öffneten erstaunt ihre hungrigen Münder, lauschten den fremden verrückten Reden, schrien selber und glaubten fest daran, daß diese Reden, dieses Geschrei schrecklich wichtig und bedeutsam für Rußlands Zukunft seien. Jetzt endlich meinte man die langersehnte Wahrheit zu hören, alle würden sie verstehen und gut und ehrlich werden, und ein vollkommen anderes Leben würde beginnen.
    Gorbatschow traf sich mit Reagan. Die Moskauer, die gerade noch gierig die druckfrischen Seiten von »Ogonjok« und »Nowy Mir« gelesen hatten, saßen gebannt vor dem Fernseher, schlürften Tee aus Apothekenkräutern und warteten, was die beiden Präsidenten der beiden Supermächte vereinbaren würden. Jedes ihrer Worte gewann epochale Bedeutung, ließ die Erdachse vibrieren.
     
    Ein bunter Herbst glühte auf und verlosch, ein nackter eisiger November fegte mit Erkältungswinden vorbei, der Winter brach herein. Dann kam der April mit Nachtfrösten, mit klaren, märchenhaft blauen Breschen im niedrigen Moskauer Himmel. Die silbrigen Weidenkätzchen verschwanden und machten den trockenen, fiedrig-feinen Mimosen Platz, dann tauchten die ersten Veilchen auf, zerdrückte zarte Sträußchen in einem Kranz von elastischen Blättern, straff umwickelt mit schwarzem Zwirn.
    Katja studierte »Romeo und Julia« ein, tanzte die Hauptrollen in den besten Aufführungen und bereitete einen Chopin-Abend zu Ehren des 19. Parteitages vor.
    Diesen Parteitag erwarteten alle mit abergläubischem Schrecken, es hieß, von ihm hinge alles ab, man fürchtete sich vor Hungersnot und Bürgerkrieg. Barinow trat im Fernsehen auf und gab auf die bohrenden Fragen des Reporters forsche Antworten. Am folgenden Tag wurde die Sendung in ganz Moskau diskutiert, auch im Theater. Dieältliche Kostümbildnerin schielte vielsagend zu Katja hinüber. Die Ballettmädchen platzten fast vor Neid: nicht genug, daß sie die Primaballerina ist, sie hat auch noch ein Verhältnis mit dem berühmten Barinow.
    Barinows Frau kehrte mit dem Sohn aus Washington zurück und fuhr bald darauf wieder weg. Katja hatte es nicht einmal mitbekommen.
    Ende Mai 1988 flog Barinow nach Athen zu einer internationalen Konferenz und brachte wenige Tage vor dem Abflug noch das Wunder fertig, Katja ein Visum zu beschaffen. Die Konferenz dauerte nur vier Tage, von Athen aus fuhren sie für eine Woche in einen kleinen Badeort.
    In dem winzigen Hotel duftete es morgens nach Blumen und Meer. Sie frühstückten in gemütlichen kleinen Restaurants, aßen gegrillte Meeresfrüchte, tranken leichten herben Wein. Einmal machten sie einen Ausflug in ein Bergdorf zu einem Volksfest.
    Im gleißenden Sonnenlicht saßen alte, schwarz gekleidete Frauen vor ihren finsteren kleinen Häusern aus grobem grauem Stein, lächelten versonnen und häkelten schneeweiße Spitzendeckchen. Auf einer offenen Bühne tanzte ein Ensemble in Volkstracht vor den deutschen und englischen Touristen Sirtaki. Der Rhythmus des Tanzes wurde allmählich schneller, die Zuschauer merkten gar nicht, wie sie mitgerissen wurden, im Takt mit den Füßen stampften und in die Hände klatschten. Jemand sprang auf die Bühne, reihte sich unbeholfen in den Reigen ein. Auch Katja hielt es nicht länger, sie schlüpfte durch die Menge und sprang auf die Bühne. Die griechischen Tänzer traten auseinander, starr vor Erstaunen und Entzücken. Man applaudierte ihr lange, wollte sie auf die Bühne zurückholen, aber sie tauchte in der erregten Menge unter, bahnte sich den Weg zu ihrem Tisch und vergrub ihr Gesicht an Jegors heißer starker Schulter.
    Den ganzen Sommer über war Katja mit ihrer Balletttruppe auf Tournee – Sofia, Warschau, Prag, Berlin. Als sie in Berlin auf der Bühne der »Komischen Oper« die Julia tanzte, erblickte sie plötzlich Jegor im überfüllten

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