Club Kalaschnikow
Year!« brüllte ihr die Hexe heiser ins Gesicht und brach in gurgelndes, baßtiefes Gelächter aus. Katja schrie auf, ihr schien, Hexe und Teufel seien echt. Sie stürzte zurück ins Vorzimmer, fiel in einen Ledersessel und zündete sich eine Zigarette an.
Der Mann im Büro war nicht Jegor, das mußte einer seiner Mitarbeiter sein. Nur die Stimme war ähnlich. Irgend jemand anders vergnügte sich dort mit dem »Sweta-Mäuschen« auf dem gepolsterten Ledersofa.
Katja wußte, daß zweimal wöchentlich eine Masseurin namens Sweta zu Jegor ins Büro kam. Er hatte Probleme mit der Bandscheibe und brauchte die Massagen dringend. Offenbar hatte sie gerade heute ihren Termin. Ohne die Massage war Jegor kein richtiger Mensch, die Schmerzen im Rücken waren zu quälend. Er hatte selbst noch gesagt, daß Sweta käme, damit er an Neujahr munter und frisch sei,ohne Schmerzen im Kreuz. Und er hatte auch gesagt, daß Sweta so robust sei wie ein Fünfkämpfer und ständig mit ihm flirte. Mächtige Arme habe sie, viel weißes, saftiges Fleisch und überhaupt kein Gehirn. Er spöttelte bissig über den viel zu kurzen Rock und das viel zu tiefe Dekolleté der Masseurin, über ihre vergeblichen Versuche, ihn zu verführen, ihn, den Ästheten und Intellektuellen, den ironischen, feinsinnigen Liebhaber alles Schönen.
Katja hatte sie nie gesehen. Was ging sie auch eine Masseurin an?
Bestimmt war es jemand anders, der dort im Büro der leidenschaftlichen, üppigen Masseurin Sweta die Strumpfhose auszog. Jegor war längst zu Hause und wartete auf Katja. Sie mußte ihn anrufen.
Sie nahm den Hörer ab und wählte seine Nummer, die sie auswendig wußte. Im Büro stand ein Parallelapparat, er begann laut zu rattern, und eine Sekunde später ging das Türschloß.
Barinow, rot und verschwitzt, in Socken, mit aufgeknöpftem Hemd und lose um den Hals baumelnder Krawatte, tastete mit hilflosen, zitternden Fingern nach dem Reißverschluß seiner Hose. Seine Augen huschten unstet hin und her, im Bemühen, Katja nicht anzusehen. Hinter ihm, im Halbdunkel des Büros, rannte etwas Großes, Nacktes, Weißes umher.
Katja warf den quäkenden Hörer auf die Plastikplatte des Schreibtischs, drückte ruhig ihre Zigarette aus und ging, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Zimmer.
Jetzt nur nicht nach Hause! Es war zehn vor elf, noch siebzig Minuten bis zum neuen Jahr. Katja ließ den Motor an, jagte durch den großflockigen, flaumigen Schnee über den hellerleuchteten Kalininprospekt. Sie weinte nicht. Das hätte noch gefehlt, bei einem solchen Schneetreiben am Steuer zu weinen! Erst an der Ringstraße merkte sie, wohin sie fuhr.
In Peredelkino blieb ihr Lada in einer Schneewehe stecken. Voller Schnee, rotwangig, mit riesigen glänzenden Augen, flog Katja in das strahlend helle, warme Wohnzimmer der Kalaschnikowschen Datscha.
»Katja! Mein Engel!« Der beschwipste, erhitzte Gleb schwenkte sie im Kreis, küßte sie ab und wunderte sich überhaupt nicht, stellte ihr keine einzige Frage.
Eine Menge Leute waren da, der Tisch bog sich unter den leckeren Speisen, die Mädchen lachten, jemand machte sich auf, um Katjas Auto aus der Schneewehe zu schieben. Gleb zog ihr die durchnäßten Stiefel von den Füßen. Er wußte, wie wichtig es war, die kostbaren schmalen Füße einer Ballerina warm zu halten, und begann sie mit den Händen zu reiben und mit seinem Atem zu wärmen. Dann holte er die riesigen Filzstiefel seines Vaters.
»Ihr seid wohl verrückt geworden!« schrie jemand. »Es ist fünf vor zwölf!«
Gorbatschows Gesicht verschwand vom Bildschirm des Fernsehers, und die Kremluhr tauchte auf. Champagnerkorken knallten, man stieß miteinander an. Gleb küßte Katja auf den Mund. Das Jahr 1989 hatte begonnen. Alle liefen nach draußen, um Knaller zu zünden und »hurra« zu schreien. In der verschlafenen, halbleeren Siedlung bellten verzweifelt die Hunde.
Als man sich heiser gebrüllt und im tiefen Schnee müde gelaufen hatte, als der Garten und die umliegenden Straßen mit dem buntem Konfetti der Knallbonbons übersät waren, kehrte man ins Haus zurück, löschte das Licht und zündete Kerzen an. Zur schmeichelnden Musik von Freddie Mercury wiegten sich langsam die Paare. Katja merkte auf einmal, daß sie in den riesigen Filzstiefeln und im seidenen Abendkleid mit Gleb tanzte. Glebs Lippen flüsterten ihr kitzelnd etwas Lustiges und Zärtliches ins Ohr, seine Hände, diese vertrauten, warmen Hände, berührten sie behutsam, hielten sie sicher, wärmten
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