Club Kalaschnikow
Volkslieder, solche, die einem zu Herzen gehen.
Draußen vor dem staubigen Kellerfenster wurde es langsam dunkel. Ein Schluck Wodka wäre jetzt nicht übel – nur war leider nichts mehr da. Er hatte gestern nacht alles bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken. Aber er konnte auch durchhalten. Zum Stelldichein mit einem Mörder ging man wohl auch besser nüchtern. Andererseits – ein solcher Anlaß und gar kein Alkohol? Zumindest ein bißchen Mut müßte er sich eigentlich antrinken.
Die nächsten anderthalb Stunden erörterte er mit sich selbst die schwierige, aber rein theoretische Frage, ob es jetzt angebracht war, etwas zu trinken oder nicht.
Schließlich wurde es Mitternacht. Unauffällig schlüpfte er aus dem Keller, geduckt und mit eingezogenem Kopf huschte er auf den bekannten Hof mit dem Spielzeughäuschen, dem Sandkasten und dem durchgehenden, nur an einer Stelle eingedrückten Zaun.
Es verging keine halbe Stunde, da tauchte der bekannte Schatten auf. Boris hielt den Atem an, er beschloß, für alle Fälle den Mörder erst einmal eine Weile zu beobachten. Der Geruch von Zigarettenqualm wehte zu ihm herüber. Der Mörder setzte sich auf die Bank und rauchte in aller Ruhe. Boris schob das Brett beiseite, kroch durch das Loch im Zaun, lief lautlos zur Bank und setzte sich neben den Mörder. »Hast du das Geld dabei?« fragte er heiser flüsternd.
»Hallo, Wohltäter. Möchtest du einen Schluck?«
»Keine Zeit. Her mit dem Geld, und good-bye«, knurrte Boris, obwohl es ihn beim Gedanken an Wodka in der Nase juckte. Den ganzen Tag hatte er keinen Tropfen im Mundgehabt, und auf nüchternen Magen nervös zu sein ist kein Spaß.
»Wie solide. Du kriegst dein Geld gleich. Hast du Beweise dabei? Oder denkst du, man glaubt dir aufs Wort?«
»Und ob man mir glauben wird! Schließlich hab ich alles gesehen. Ich hab da drüben in dem Märchenhäuschen gesessen und alles beobachtet. Also quatsch mir nicht die Hucke voll. Gib mir das Geld, und du siehst mich nie wieder.«
»Wirklich nie? Ich gebe dir jetzt einen Tausender, du verjubelst ihn, möchtest mehr und fängst wieder an, mir Briefe zu schreiben.«
»Nein. So einer bin ich nicht, ich bin ehrlich.«
»Was willst du mit dem Geld eigentlich machen? Das ist schließlich ein ganz nettes Sümmchen.«
»Damit fahr ich aufs Land.« Boris schluckte nervös. »Diese verfluchte Stadt steht mir bis sonstwo. An die frische Luft fahr ich. Kauf mir ein Haus.«
Ihm fiel plötzlich auf, daß der Mörder der erste Mensch war, dem er seine geheimsten Pläne mitteilte. Mit niemandem hatte er bisher darüber gesprochen, weder mit Siwka noch mit dem Hausmeister Saidytsch. Aber dem Mörder schüttete er sein Herz aus. Es gibt schon eigenartige Fügungen im Leben.
»Na schön, ich glaub dir. Aber ein ordentlicher Schluck kann dir nicht schaden. Du bist ja ganz nervös, und außerdem wäre es eine Sünde, eine solche Sache nicht zu begießen. Das Geld hab ich im Auto, ich hole es schnell. Hier nimm, damit es dir inzwischen nicht langweilig wird.«
Boris hatte plötzlich eine Halbliterflasche »Stolitschnaja« in der Hand. Sie war eiskalt, und wieder juckte es Boris in der Nase, er mußte sogar niesen.
»Gesundheit, Wohltäter. In einer Viertelstunde bin ich mit deinem Geld zurück.«
Sobald er allein war, öffnete Boris rasch den Verschluß und preßte den kalten Flaschenhals gierig an seine trockenen Lippen.
Kapitel 25
»Wie kann ich mich denn für die Worte eines psychisch kranken Menschen verbürgen?« Doktor Gontschar war sehr erbost und bemühte sich auch nicht, es zu verbergen.
»Ich brauche nicht Ihre Bürgschaft«, erklärte ihm Major Kusmenko ruhig und geduldig. »Ich bitte Sie als Experten darum, den Grad ihrer Zurechnungsfähigkeit zu benennen, und zwar nicht für das Gericht, sondern für mich persönlich.«
»Sie werden von der Patientin Guskowa nur wirres Geschwätz hören, sonst nichts. Sie wird Ihnen keine brauchbaren Zeugenaussagen liefern. Ich finde es schon seltsam, daß ein Jurist wie Sie das nicht begreifen will.«
»Niemand will ihre Aussagen als Zeugenaussagen vor Gericht benutzen. Das ist eine rein operative Information, nicht mehr.«
»Na, wenn man wirres Gerede als operative Information betrachtet, dann bitte sehr. Machen Sie, was Sie wollen. Aber bitte nicht in meinem Büro.« Mit diesen Worten vertiefte sich Gontschar demonstrativ in seine Papiere.
»Wo dann?«
»Im Ärztezimmer, im Behandlungsraum, auf dem Hof – wo Sie wollen.«
Das
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