Club Kalaschnikow
gräßlichsten Gedanken. Wir leben in so schlimmen Zeiten. Deinen Gleb hat man ermordet, und ich hab ihn doch noch gekannt, als er sooo klein war. Da muß man doch trinken. Wenn ich trinke, geht es mir besser. Verzeih mir, Katja, aber während ich auf dich gewartet habe, hab ich bei Sweta noch was zu süffeln gefunden, und jetzt geht’s mir schon wieder besser.« Sie ließ sich schwer auf das Sofa plumpsen. »Ich bin so müde, ich kann nicht mehr.«
»Nein, so geht das nicht.« Katja setzte sich entschlossen neben sie auf das Sofa. »Ihre Tochter ist verschwunden. Wir gehen jetzt zusammen zur Miliz, und Sie erstatten eine Vermißtenmeldung. Danach können Sie soviel schlafen, wie Sie wollen.«
»Ach, was soll das denn!« Ella winkte ab und drehte sich wieder zur Wand. »Die treibt sich mit Wowtschik oder sonstwem rum, was zum Teufel sollen wir da bei der Miliz?«
»Nun wachen Sie doch endlich auf! Was hat das mit Wowtschik zu tun? Begreifen Sie, daß seit Samstag niemand mehr Ihre Tochter gesehen hat? Und heute ist Dienstag! Ihre einzige Tochter ist verschwunden, das kann Ihnen doch nicht egal sein!« Katja versuchte, Ella Anatoljewna hochzuziehen. »Ohne Sie können wir Sweta nicht suchen, Sie sind die Mutter, wir aber nur Außenstehende.«
Pawel ging in die Küche, um Kaffee zu machen. Katja hatte es endlich geschafft, Ella Anatoljewna aufzurütteln. Die Schläfrigkeit wich einer heftigen Erregung, sie begann hektisch zu jammern: »Oje, wirklich, seit Samstag schon! Wenn ich daran denke, möchte ich gleich wieder trinken. Ich trinke, ich schlafe ein Weilchen, und dann ist sie wieder da. Hör mal, warst du am Sonntag auf dem Markt?«
»Ja, natürlich. Ich sage Ihnen doch, niemand hat Sweta dort gesehen, weder dieser Wowtschik noch ihre Kollegin Christina.«
Mit Katjas Hilfe wankte Ella Anatoljewna zum Bad.
Als Katja sich in der Küche umsah, mußte sie betrübt feststellen, daß auch die letzten Reste einstigen Wohlstands unter dem Druck der Armut allmählich verschwanden. Sie war früher nie hier gewesen, aber sie erinnerte sich noch gut an Tante Ella, die Friseurin, wie sie vor fünfzehn Jahren gewesen war. Eine frische, mollige, interessante Frau, immer sehr sauber und gepflegt, nach gutem Parfum duftend, in einem schneeweißen Nylonkittel, mit weichen, liebevollen Händen.
Katja hatte sich das Haar nie kurz schneiden lassen, aber ihre Mutter trug eine elegante Kurzhaarfrisur und nahm Katja einmal im Monat mit in den Friseursalon »Zauberfee« zu Tante Ella, um sich dort die Haare nachschneiden zu lassen. Katja hatte diese besondere, zärtlich gurrende und süß duftende Welt eines Damensalons sehr gefallen. Ihre Mutter ließ sich hier gern aufpolieren – Massage, Maske, Maniküre, Haarschnitt, Wasserwelle. Hier gab es lauter »Mäuschen« und »Schätzchen«. Erwachsene Frauen nannten einander »Mädelchen«, und irgendwie war das alles sehr gemütlich. Tante Ella brachte Katja bei, wie man sich geschickt einen schwierigen französischen Knoten dreht, die Haare mit einer harten Bürste massiert, von unten, vom Nacken aus, nach oben, und sie versuchte, Katjas Mutter davon zu überzeugen, daß ein Pony dem Mädchen gar nicht zu Gesicht stehe.
»Sie hat schon ihren eigenen Stil, sie ist zwar noch klein, aber sie weiß schon, was sie will. Man darf sie nicht zwingen.«
»Aber das ist so ein strenger Stil«, protestierte die Mutter, »schneid ihr doch wenigstens einen kleinen Pony, damit sie ein bißchen frischer wirkt.«
»Bei diesem Gesichtstyp sieht ein Pony überhaupt nicht gut aus.«
Die Unterhaltung plätscherte gemütlich vor sich hin, und Katja genoß die entspannte Atmosphäre. Tante Ella strahlte Wärme und Ruhe aus. Katja wunderte sich jedesmal, warum sie keinen Mann hatte und warum ihre Sweta so eine boshafte Giftnudel war. Damals hätte sie sich Ella Anatoljewna unmöglich in ihrem heutigen verwahrlosten Zustand vorstellen können.
Aus dem Bad kam Ella Anatoljewna etwas erfrischter und nüchterner. Sie begrüßte Pawel mit Handschlag, begann sich zu entschuldigen und zu bedanken.
»Es ist mir schrecklich peinlich, ich kann euch nicht einmal etwas anbieten. Im Kühlschrank muß noch Käse sein, Kuchen ist auch noch übrig. Verzeih mir, Katja, meine Liebe. Und Sie auch, Pawel. Es ist mir wirklich furchtbar peinlich. Ich versuche ja, dagegen anzugehen. Immer denke ich, ich muß endlich eine Therapie machen oder mir eine Ampulle einsetzen lassen. Aber wißt ihr, um das zu tun, muß man
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