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Club Kalaschnikow

Club Kalaschnikow

Titel: Club Kalaschnikow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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die alten, zerstoßenen Teller ein, die Tassen mit den abgeschlagenen Henkeln, die schartigen Gabeln, und bemühte sich, an nichts zu denken.
    Nach einer Stunde war die Küche einigermaßen sauber, so sauber, wie ein Raum sein kann, der seit fünfzehn Jahren nicht mehr renoviert wurde. Olga rückte den Tisch an den Herd, holte aus dem Wandschrank im Flur ein Klappbett, eine zusammengerollte Matratze und Bettzeug. Seit zwei Jahren schlief sie schon in der Küche. Die Wohnung hatte nur ein einziges Zimmer.
    Nachdem sie das Bett gemacht hatte, setzte sich Olga darauf und starrte lange vor sich hin. Schließlich besann sie sich und tappte, sich nur mit Mühe auf den Beinen haltend, ins Bad. Aus dem Spiegel über dem Waschbecken blickten sie riesige tiefblaue Augen an.
    »Das bin nicht ich«, flüsterte Olga und wandte sich von ihrem Spiegelbild ab.
    Das Mädchen im Spiegel war schön wie eine Prinzessinaus einem Märchenbuch. Lange schwarze Wimpern, schwarze Brauen, erstaunt und hochmütig hochgezogen, eine schmale gerade Nase, ein frischer voller Mund, ein langer stolzer Hals. Keinerlei Make-up, eine Haut, an die nur kaltes Wasser kam und die doch ganz von selbst schimmerte, fein, durchsichtig, makellos rein.
    Eine solche Schönheit können weder verwaschene und schäbige Kleider zerstören noch ständige Müdigkeit, chronischer Schlafmangel, Armut oder ruinierte Nerven. Nur das Alter würde dieses Geschenk der Natur zerstören können, das Olga Guskowa unnötig und nutzlos vorkam und das ihr bisher nichts als Unglück gebracht hatte. Aber bis zum Alter war es noch weit, sie war gerade erst dreiundzwanzig.
    Olga zog die verschossene Jacke aus, schlüpfte aus den abgetragenen, längst farblos gewordenen Jeans, stellte sich unter die heiße Dusche und kniff die Augen zusammen. Durch das Rauschen des Wassers hörte sie deutlich eine hohe Männerstimme:
    »Du verstehst nicht, Olga, das kostet mich überhaupt nichts. Probier das Kleid doch wenigstens an. Ich habe es ja nur nach Augenmaß gekauft. Die Schuhe auch. Sieh dich mal im Spiegel an, Olga, so wie du herumläufst, zieht sich heutzutage keine normale Frau mehr an. Natürlich bist du trotzdem wunderschön, aber ich kann mit dir in keine Kneipe gehen, wenn du solche gräßlichen Fetzen trägst.«
    »Ich will in keine Kneipe, laß uns hier bleiben, zu zweit …« In der Erinnerung klang ihre eigene Stimme weit entfernt und völlig fremd.
    »Na gut, bleiben wir hier.«
    »Gib diese Sachen deiner Frau. Ich brauche nichts.«
    »Erstens hat sie schon alles, und zweitens ist sie dünner und einen halben Kopf kleiner. Und ihre Schuhe sind auch zwei Nummern kleiner. Außerdem kauft sie sich alles selbst und würde sich sehr wundern, wenn ich ihr etwas bringe.Olga, Schätzchen, warum kränkst du mich so? Ich bin herumgelaufen und habe für dich eingekauft, und du willst die Sachen nicht einmal anprobieren.«
    »Ich brauche keine Klamotten. Ich brauche dich. Ich liebe dich, mehr als mein Leben.«
    Unter dem heißen Wasser wurde es Olga eiskalt, ihr Herz schlug dröhnend wie eine Kirchenglocke. Beten müßte sie, zur Beichte gehen. Mein Gott, diese Sünde, diese schwarze, scheußliche, tödliche Sünde.
    »Weh mir Sünder! Der verfluchteste aller Menschen bin ich, keine Reue ist in mir; gib mir Tränen, Herr, meine Taten bitter zu beweinen.«
    Die Worte des Gebetes blieben ihr in der Kehle stecken, Olga spürte keinen Sinn in ihnen, wiederholte sie mechanisch wie ein auswendig gelerntes Gedicht. Konnte sie jetzt nicht mal mehr beten? Ohne Reue gab es keine Vergebung. Nicht einmal weinen konnte sie – keine einzige Träne.
     
    Olga Guskowa hatte in ihrem ganzen Leben erst zweimal geweint. Das erste Mal, als sie erfuhr, daß ihre Mutter und ihr Vater ums Leben gekommen waren. Das zweite Mal, als ihr die kluge, müde Psychiatrieprofessorin erklärt hatte, ihre Großmutter habe den Verstand verloren.
    Ihre Eltern hatte Olga fast gar nicht gekannt. Ihr Vater war Hauptmann beim Grenzschutz gewesen, der von Garnison zu Garnison reiste. Ihre Mutter, eine Militärärztin, reiste mit ihm. Mal Wüste, mal Taiga, ungesundes Klima, ein ungeordnetes Leben in wechselnden Garnisonsstädtchen – wozu sollte man das einem kleinen Kind zumuten? Olga war im Fernen Osten geboren worden. Als sie ein Jahr alt war, brachten die Eltern sie nach Moskau und gaben sie in die Obhut von Oma Iwa, Iwetta Tichonowna, ihrer Großmutter mütterlicherseits.
    Die Oma war noch nicht alt, erst fünfundfünfzig,

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