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Club Kalaschnikow

Club Kalaschnikow

Titel: Club Kalaschnikow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
    »Vor einer Woche.«
    Olga Guskowa saß in ihrer kleinen Küche, den Kopf tief gesenkt, und sprach nur mit größter Mühe. Sie war gar nicht erstaunt gewesen, als Major Kusmenko an der Tür geklingelt und sich vorgestellt hatte. Schweigend ging sie mit ihm in die Küche und setzte sich auf einen Hocker. Sie machte keinen eingeschüchterten, verschreckten Eindruck. Sie sah nur aus, als sei sie entsetzlich müde, würde gleich ihren Kopf auf den abgewetzten Küchentisch sinken lassen und einschlafen. Der Major stand am halbgeöffneten Fenster und rauchte.
    »Olga Nikolajewna, was haben Sie am Abend des vierten September gemacht?« fragte er.
    »Ich habe gearbeitet.«
    »Von der Arbeit sind Sie um elf weggegangen. Sind Sie sofort nach Hause gefahren?«
    Olga schwieg und sah am Major vorbei zum Fenster hinaus. Nebenan, im einzigen Zimmer, das genauso armselig und dürftig aussah wie diese winzige Küche, ächzte und stöhnte die verrückte Oma. Vor einer halben Stunde hatte sie erklärt, daß ihre Enkelin am vierten September schrecklich spät nach Hause gekommen sei. Erst gegen Morgen. Überhaupt käme sie immer viel zu spät, vergäße, daß zu Hause eine hilflose, kranke Frau auf sie warte. Und ständig öffne sie das Oberlicht. Und gebe ihr zu wenig zu essen. Es wäre gut, wenn jemand auf sie einwirken könnte, sich ihrer unglücklichen Oma gegenüber besser zu benehmen, der Oma, die sich ihr ganzes Leben für sie aufgeopfert und nächtelang nicht geschlafen hätte.
    Eine Pest ist das, keine Oma, dachte der Major, wenn man mit der unter einem Dach lebt, muß man ja über kurz oder lang verrückt werden.
    »Olga, versuchen Sie doch bitte, sich zu erinnern, wohin Sie nach der Arbeit gefahren sind. Sofort nach Hause oder noch irgendwo anders hin?«
    »Nach Hause«, antwortete Olga kaum hörbar.
    »Das heißt, um halb zwölf waren Sie schon zu Hause?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe keine Uhr.«
    »Gut«, sagte der Major seufzend, »hat einer von Ihren Nachbarn gesehen, wie Sie zurückgekommen sind? Vielleicht haben Sie ja jemanden im Hof getroffen? Versuchen Sie sich zu erinnern.«
    »Wieso?«
    »In der Nacht vom vierten auf den fünften September ist der Mann ermordet worden, zu dem Sie enge Beziehungen hatten.«
    »Wir hatten uns getrennt. Es gab keine Beziehungen mehr.«
    »Aber Sie hatten sich doch noch eine Woche vorher getroffen«, erinnerte Kusmenko sie.
    »Wir trafen uns, um uns zu trennen. Endgültig und für immer.«
    »Hatten Sie Streit gehabt?« fragte der Major sanft.
    »Nein.«
    »Aber man trennt sich doch nicht einfach so, noch dazu für immer. Wenn es keinen offenen Streit gab, dann sicher irgendwelche schwerwiegende Gründe …«
    »Er war verheiratet.«
    »Aber das wußten Sie doch von Anfang an. Wahrscheinlich haben Sie erwartet, daß er sich von seiner Frau trennt?« soufflierte der Major vorsichtig.
    »Ja«, flüsterte sie kaum hörbar.
    »Und Sie haben seine Frau angerufen, anonym, haben sie beleidigt und ihr gedroht?« fragte Kusmenko rasch, ohne den Tonfall zu ändern.
    Am Vorabend war er bei der Orlowa gewesen. Äußerst knapp und unwillig hatte sie bestätigt, was er von der Krestowskaja erfahren hatte – die Anrufe, die Holzspäne im Kopfkissen. Die Hausangestellte Shanna Grinjewitsch, die bei dem Gespräch zugegen war, hatte noch Einzelheiten und Emotionen beigesteuert und das Entsetzen geschildert,das sie beim Anblick der magischen Gegenstände empfunden hatte. Ja, das alles paßte sehr gut zu Olga. Man spürte bei ihr einen geheimen, verbissenen Fanatismus.
    Olga blickte zum ersten Mal hoch. Ihre Augen waren trocken, riesig, dunkelblau und völlig irrsinnig – so schien es jedenfalls dem Major.
    »Nein. Ich habe seine Frau nie angerufen.«
    »Und Sie haben auch nicht versucht, sie zu treffen?«
    »Nein. Nie.«
    »Waren Sie schon einmal bei den Kalaschnikows zu Hause?«
    »Ja. Als sie auf Tournee war.« Olga wurde bleich und fiel beinahe vom Hocker.
    Der Major stürzte erschrocken zu ihr, um sie aufzufangen, doch sie hielt sich fest, krallte sich mit ihren schmalen Fingern in die Tischplatte und schluckte krampfhaft.
    »Olga Nikolajewna, geht es Ihnen gut? Vielleicht fällt es Ihnen schwer, auf meine Fragen zu antworten, und wir setzen das Gespräch ein anderes Mal fort?«
    »Wie Sie wollen«, – sie bewegte kaum die Lippen –, »mir ist alles gleich.«
    Der Major dachte, beim nächsten Gespräch wäre es besser, einen Psychiater dabei zu haben. Olga

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