Club Kalaschnikow
während sie den Hof verließ. Aber ich wüßte doch gern, wieso sie einen Penner wie Boris filmen. Aus Langeweile sicher nicht. Boris treibt sich ständig im Hof herum und wühlt im Müll, er kennt alle und sieht alles. Mein Gott, ob er vielleicht den Mörder gesehen hat? Und jetzt will er sein Wissen zu Geld machen. Die Miliz haßt und fürchtet er, aber Leute vom Fernsehen wie Siwolap können ihm eine schöne Stange Geld zahlen.
Als sie von der Straße in einen kleinen Durchgangshof einbog, sah Katja einen grell-lila Rücken, der über die Müllcontainer gebeugt war. Einen Moment zögerte sie, doch dann ging sie kurz entschlossen hin und sagte leise:
»Boris!«
Er drehte sich um und zerfloß sogleich in einem zahnlosen Lächeln.
»Ah, ’n schönen Tag, Akrobatin!«
Katja hatte ihm manchmal alte Sachen von Gleb gebracht und immer ein paar freundliche Worte mit ihm gewechselt. Einmal, als er mitten im Hof auf dem Boden lag und alle Leute angeekelt einen Bogen um ihn machten, hatte Katja sich neben ihn gekauert, gesehen, daß man ihn halbtotgeschlagen hatte, und den Notarzt gerufen. Der Penner grüßte sie immer höflich und nannte sie »Akrobatin«.
»Du warst doch in jener Nacht auf dem Hof?« fragte Katja leise.
»In welcher Nacht?« fragte Boris zurück und klapperte naiv mit den Augen.
»Keine Angst, ich werde der Miliz nichts sagen. Du brauchst nicht als Zeuge auszusagen. Aber hast du ihn gesehen?«
»Sie«, erwiderte Boris tonlos, nur mit den Lippen.
»Was?« Katja begriff nicht sofort, besann sich plötzlich und faßte in ihre Handtasche, um Geld herauszuholen.
In diesem Moment erschien wie aus dem Erdboden gestampft ein riesiges Weib in einer zerrissenen Sportjacke und stürzte sich auf Boris.
»Hier bist du also, du Hundesohn, du Saukerl!«
Sie trommelte mit den Fäusten rasch und energisch auf ihn ein. Boris entwand sich ihr und flitzte so schnell wie ein guter Sprinter über den Hof. Die Frau stürzte ihm nach und brüllte dabei wilde, betrunkene Flüche, so laut, daß es über den ganzen Hof schallte.
Katja ging mechanisch hinter ihnen her, blieb dann aber plötzlich stehen. Ich werde ihn später aufsuchen, dachte sie ruhig, ich weiß ja, wo er wohnt.
Kapitel 17
In der Zweizimmerwohnung von Felix Grischetschkin fiel als erstes die perfekte Ordnung und sterile Sauberkeit auf. Hätte man nicht gewußt, daß der Hausherr ein vierzigjähriger Junggeselle war, Geschäftsführer eines Spielclubs, so hätte man denken können, hier wohne eine einsame alte Jungfer. Gestärkte weiße Spitzendeckchen auf dem Couchtisch, auf dem Fernseher und der Kommode. Nippes in derAnrichte – eine Porzellanballerina, eine ägyptische Katze aus mattschwarzem Onyx und daneben eine weiße Marmorbüste von Tolstoi.
Felix Grischetschkin hatte seit seiner Jugend, nach dem Tod des Vaters, mit seiner Mutter allein gelebt. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Literaturmuseum gewesen; vor einem Jahr war sie gestorben. Er bewahrte in der Wohnung alles so, wie es zu ihren Lebzeiten gewesen war, rührte nichts an, obwohl ihm diese ganzen Deckchen und Figürchen auf die Nerven gingen.
Seit seinem sechzehnten Lebensjahr führte er Tagebuch. Die dicken, in Wachstuch eingebundenen Kladden standen ordentlich aufgereiht im Bücherregal. Auf jedem Umschlag war das Jahr vermerkt. Mit kleiner, sauberer Handschrift hatte Felix ausführlich fast jeden Tag seines Lebens geschildert, als lege er sich selber eine Beichte ab. Die zähen, freudlosen Ergüsse dieses komplexbeladenen, zutiefst einsamen Mannes waren eine deprimierende Lektüre.
Major Kusmenko hoffte in den letzten Heften etwas über das Casino, über Kalaschnikow, Lunjok und Täuberich zu finden, doch über seinen Beruf schrieb Grischetschkin kaum etwas. Es ging nur um persönliche Erlebnisse, um Kränkungen, die ihm von Leuten zugefügt worden waren, die er nicht beim Namen nannte, sondern nur mit einem Buchstaben bezeichnete.
Die letzte Kladde begann im Januar 1997 und war fast ausschließlich der quälenden, hoffnungslosen Liebe zu Olga Guskowa gewidmet.
14. Januar
Ich hatte überhaupt keine Lust, zu diesem Treffen zu gehen. Es steht mir bis hier. K. nutzt mich nach Strich und Faden aus, er selber kann kaum Fremdsprachen, und nun kommen plötzlich diese Bierbrauer aus Bremen. Wozu soll er Geld für einen Dolmetscher ausgeben, wenn der eigeneGeschäftsführer Deutsch kann? Der deutsche Humor stinkt nach Kaserne, und ich muß diese erbärmlichen Kalauer
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