Club Noir - 1
und kramte als erstes ein Paar dicke Socken hervor.
„Schon besser!“
Erleichtert stellte sie fest, wie ihr allein dadurch schon ein ganzes Stück wohliger wurde. Sie schlüpfte in ihre schwarze Spitzenunterwäsche, zog eine schwarze enge Hose und eine schicke rote Bluse darüber. Zufrieden betrachtete sie ihren schlanken wohlgeformten Körper in dem Ganzkörperspiegel, der neben der Tür hing. Sie machte einen Schmollmund. Wie sexy sie sich in diesem Augenblick fühlte! Ernüchtert stellte sie fest, dass sie schon sehr lange auf die Gesellschaft eines Mannes verzichtet hatte und wie sehr sie sich doch danach sehnte. Gerade jetzt, da sie mutterseelenallein in einer fremden Stadt zurechtkommen musste. Wie gerne hätte sie sich in beschützende, starke Arme sinken lassen, die Berührung fordernder Finger und leidenschaftlicher Küsse auf ihrer Haut gespürt.
Jesse seufzte schwermütig.
Ihre letzte ernsthafte Beziehung zu einem Mann lag schon beinahe ein ganzes Jahr zurück. Nick war ein wunderbarer Liebhaber gewesen. Verständnisvoll und einfühlsam. Obendrein las er ihr jeden Wunsch von den Augen ab und setzte ihn sofort in die Tat um – jedenfalls zu Anfang. Dann – sie wusste selbst nicht mehr genau, wie es dazu gekommen war – verbrachte er von Tag zu Tag mehr Zeit im Büro. Er arbeitete wie ein Wahnsinniger und Jesse war auch noch so naiv, ihm diese Arbeitswut abzunehmen. Tatsächlich vergnügte er sich aber mit einer jungen aufreizenden Kollegin. Im Vergleich zu Jesse war sie ein Kind. Nick fand jedoch Gefallen an ihr. Er verführte sie regelmäßig nach Büroschluss – auf dem Schreibtisch, dem Stuhl und dem bloßen Fußboden.
Viel zu spät hatte Jesse bemerkt, dass sie betrogen wurde. Sie erwischte ihn in flagranti, als sie ihn eines Tages überraschen wollte. Für seinen Geburtstag hatte sie etwas ganz Besonderes geplant. Einen Abend mit einem Fünf-Gänge-Menü in einem noblen Restaurant und einer anschließenden Gala-Vorstellung im Theater. Aber am Ende gipfelte dieser Abend in dem traurigsten Erlebnis ihres Lebens.
Sie hatte lange gebraucht, um über Nick hinwegzukommen. Tatsächlich war sie für die Annährungsversuche anderer Männer unempfänglich geworden. Eine Sache, die sie unbedingt ändern sollte.
Die Abenteuerlust ergriff von ihr Besitz. Ihrem geöffneten Koffer, mit den nun wild durcheinander liegenden Sachen, schenkte sie nur einen kurzen Blick. Natürlich wusste sie um ihr chaotisches Wesen. Auf der anderen Seite gab es hier niemanden, der mal eben bei ihr vorbeischauen und die Unordnung bemerken könnte. Achselzuckend stieg sie darüber hinweg und griff nach ihrer Lederjacke.
Ihre Entdeckungsreise durch Brüssel konnte beginnen!
Der Club
Sie lief ziellos durch die Straßen – auf der Suche nach nichts Bestimmtem und doch etwas Aufregendem. Zwar hatte sie sich vor der Abreise einen Reiseführer über Brüssel gekauft, dieser steckte jedoch wohlbehalten in einer Seitentasche ihres Koffers. Und genau da sollte er auch schön bleiben, entschied sie. Ihren Plan, zunächst den Weg zur Galerie zu erkunden, warf sie komplett über den Haufen. Stattdessen machte sie ganz andere Erkundungen. Nach einem kurzen Spaziergang erreichte sie die Börse, die sie umrundete und anschließend durch die Rue au Beurre ging, die sie direkt auf den Grand Place führte. Vor ihrer Reise hatte sie von einer Freundin gehört, dass dies der lebendige Punkt von Brüssel sein sollte. Aber angesichts der kühlen Frühlingstemperaturen fand sie nicht den belebten Platz vor, den sie sich eigentlich vorgestellt hatte.
Sie schritt über das weite Pflaster und bestaunte mit neugierigen Augen die eindrucksvollen Gebäude ringsum. Und ehe sie sich versah, landete sie in einer kleinen Seitengasse, die von Cafés und Restaurants beherrscht wurde. Durch die Fensterscheiben warf sie einen Blick auf die Menschen, die drinnen im Warmen saßen und glücklich ihre Mahlzeiten zu sich nahmen oder einfach nur ein Glas des einheimischen Bieres tranken.
Ein Lächeln umspielte ihren Mund. Allmählich begann sie, Gefallen an dieser Stadt zu finden. Ein Haus, abgedunkelt gelegen zwischen all den hell erleuchteten Lokalitäten, forderte nun ihre ganze Aufmerksamkeit. Die schwarzen Fensterläden waren nur ein winziges Stück geöffnet und gaben nur einen Spalt breit Einblick in ein undefinierbar rot leuchtendes Inneres.
Jesse beobachtete, wie eine Gruppe junger Männer und Frauen, allesamt vornehm gekleidet, von der anderen Seite
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