Cobra - Forsyth, F: Cobra - Cobra
stand ein Telefon. Er nahm den Hörer ab und krächzte ein paarmal »Oiga«, aber niemand antwortete.
Cortez ging zu einem der großen Fenster, bog eine Ecke des Rollos zur Seite und spähte hinaus. Er sah gepflegte Rasenflächen und einen Fahnenmast, an dem die amerikanische Flagge wehte. Also war er nicht im Paradies. Für ihn war es das Gegenteil. Man hatte ihn gekidnappt, und die Amerikaner hatten ihn.
Er hatte schreckliche Geschichten gehört, Geschichten von Sonderüberstellungen mit verdunkelten Flugzeugen in fremde Länder, von Foltercamps im Mittleren Osten und in Zentralasien, von jahrelanger Haft in der kubanischen Enklave namens Guantanamo.
Am Telefon neben dem Bett hatte sich zwar niemand gemeldet, aber dass er wach war, hatte man bemerkt. Die Tür öffnete sich, und ein Steward in weißer Jacke kam mit einem Tablett herein. Auf dem Tablett stand Essen, gutes Essen, und Juan Cortez hatte seit seinem Lunchpaket in der Sandoval-Werft vor zweiundsiebzig Stunden nichts mehr gegessen. Dass seitdem drei Tage vergangen waren, wusste er nicht.
Der Steward stellte das Tablett ab und deutete lächelnd auf die Badezimmertür. Juan schaute hinein. Ein Marmorbad für einen römischen Kaiser, wie er es schon im Fernsehen gesehen hatte. Der Steward gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass es ihm gehörte: Dusche, Toilette, Rasierzeug, alles. Dann verschwand er.
Der Schweißer betrachtete Eier und Speck, Saft, Toast, Marmelade und Kaffee. Der Duft von Speck und Kaffee ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Wahrscheinlich waren Drogen im Essen, dachte er sich, vielleicht sogar Gift. Aber was machte das schon? So oder so konnten sie mit ihm machen, was sie wollten.
Er setzte sich hin und dachte beim Essen an seine letzte Erinnerung: Der Polizist, der ihn bat auszusteigen, stählerne Arme, die sich um seinen Oberkörper schlangen, ein erstickender Lappen vor seinem Gesicht, das Gefühl des Fallens. Er zweifelte nicht daran, den Grund für die Entführung zu kennen. Er arbeitete für das Kartell. Aber wie war es möglich, dass sie das entdeckt hatten?
Als er fertig war, ging er ins Bad. Er benutzte die Toilette, duschte und rasierte sich. Eine Flasche Aftershave war auch da. Er bespritzte sich großzügig damit. Sollten sie es doch bezahlen. Er war mit der Phantasievorstellung aufgewachsen, dass alle Amerikaner reich waren.
Als er ins Zimmer zurückkam, stand dort ein Mann; ein wenig älter, mit grauem Haar, mittelgroß, drahtig. Der Mann lächelte sehr freundlich, sehr amerikanisch. Und er sprach Spanisch.
» Hola, Juan. Qué tal? « Hallo, Juan. Wie geht’s? » Me llamo Cal. Hablamos un ratito. « Ich heiße Cal. Lass uns ein bisschen plaudern.
Das war natürlich ein Trick. Die Folter würde später kommen. Erst einmal setzten sie sich in zwei Sessel, und der Amerikaner erklärte ihm, was passiert war. Er erzählte ihm von der Ergreifung, von dem brennenden Ford, von der Leiche am Steuer. Er erzählte ihm, dass der Tote anhand von Brieftasche, Uhr, Ring und Medaillon identifiziert worden war.
»Und meine Frau und mein Sohn?«, fragte Cortez.
»Ach, die sind beide untröstlich. Sie glauben, sie waren auf deiner Beerdigung. Wir möchten sie zu dir bringen.«
»Zu mir? Hierher?«
»Juan, mein Freund, finde dich mit den Realitäten ab. Du kannst nicht zurück. Das Kartell würde dir kein Wort glauben. Du weißt, was sie mit Leuten machen, von denen sie glauben, sie seien zu uns übergelaufen. Und mit deren Familie. In diesen Dingen sind sie wie Tiere.«
Cortez fing an zu zittern. Er wusste es nur zu gut. Persönlich hatte er es nie gesehen, aber er hatte davon gehört. Er hatte es gehört und gezittert. Abgeschnittene Zungen, langsames Sterben, die Vernichtung ganzer Familien. Er zitterte um Irina und Pedro. Der Amerikaner beugte sich vor.
»Finde dich mit der Realität ab. Du bist jetzt hier. Ob wir das Richtige oder das Falsche getan haben – wahrscheinlich war es das Falsche –, ist nicht mehr wichtig. Du bist hier, und du lebst. Aber das Kartell ist davon überzeugt, dass du tot bist. Sie haben sogar einen Beobachter zu deiner Beerdigung geschickt.«
Dexter holte eine DVD aus der Tasche, schaltete den großen Plasmafernseher ein, schob die Scheibe in den Player und drückte auf die Fernbedienung. Der Film war offensichtlich von einem Kameramann auf einem Hochhausdach gedreht worden, einen halben Kilometer weit vom Friedhof entfernt, aber die Auflösung war ausgezeichnet. Und das Bild
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