Cobra
Dinge im Kopf. Das ist ein Grund, weshalb ich zu dir gekommen bin.«
»Ja. Also – um es ohne Umschweife zu sagen, du wurdest abgelehnt, weil du eine Frau bist.«
Er hatte letztlich keine Überraschung bei ihr erwartet, und sie zeigte auch keine. »Das ist gegen die Gesetze, weißt du das?«, erwiderte sie ruhig. »Ich habe die Satzung der Akademie genau gelesen, die offizielle Beschreibung der Zielsetzung von Cobra, und sogar die Originaldokumente aus dem Alten Imperium. Nirgendwo steht ausdrücklich etwas davon, dass Frauen von den Cobras ausgeschlossen werden sollen.«
»Natürlich nicht.« Corwin seufzte. »Es gibt auch keinen Grund, Frauen daran zu hindern, Gouverneur zu werden, aber du wirst bemerkt haben, dass es nur wenige Frauen gibt, die es bis in dieses Amt schaffen. Das ist eine Frage der Tradition.«
»Wessen Tradition?«, konterte Jin. »Keine dieser unausgesprochenen Regeln hat sich hier in den Cobra-Welten entwickelt. Wir haben sie aus dem Alten Imperium übernommen.«
»Richtig. Aber diese Dinge zu ändern braucht Zeit. Du darfst nicht vergessen, dass wir uns erst vor kaum zwei Generationen vom Alten Imperium und seinem Einfluss gelöst haben.«
»Es hat weniger als eine Generation gedauert, den Cobras ihr doppeltes Stimmrecht zu geben«, argumentierte sie.
»Das war etwas anderes. Tors Challinors Rebellionsversuch hat eine sofortige politische Anerkennung der Körperkraft der Cobras unabdingbar gemacht. Dein Fall weist leider nicht die gleiche Dringlichkeit auf.«
Eine ganze Weile sah Jin ihn einfach nur an. »Du wirst dich in dieser Sache nicht meinetwegen mit dem Senat anlegen, oder?«, fragte sie schließlich.
Er breitete hilflos die Hände aus. »Es geht nicht darum, sich mit dem Senat anzulegen, Jin. Sämtliche militärischen Traditionen stehen gegen dich. Frauen waren eben bei bestimmten militärischen Einheiten nie gern gesehen. Nicht bei offiziellen Einheiten, jedenfalls«, korrigierte er sich. »Weibliche Rebellen und Guerillakämpfer hat es immer gegeben, aber ich glaube kaum, dass dieses Argument viel bewirken wird – weder beim Senat noch in der Akademie.«
»Aber du hast doch eine Menge Einfluss. Allein der Name Moreau …«
»… hat vielleicht noch einen gewissen Klang draußen bei den Menschen von Aventine«, brummte er, »aber nicht mehr in den oberen Rängen. Hat er eigentlich nie gehabt – dein Großvater war in vielerlei Hinsicht ein viel populärerer Mann als ich, und selbst zu seiner Zeit haben wir nichts ohne ständige Streitereien und Feilschereien erreicht.«
Jin befeuchtete sich die Lippen. »Onkel Corwin … ich muss in diese Akademie. Ich muss. Es ist Dads letzte Chance, dass einer aus der Familie die Cobra-Tradition weiterführt. Und diesen Halt braucht er jetzt mehr als je zuvor.«
Corwin schloss kurz die Augen. »Jin, hör zu … ich weiß, wie viel Justin diese Tradition bedeutet. Jedes Mal, wenn eins von euch Mädels geboren wurde …« Er brach ab. »Der Punkt ist der: Das Universum funktioniert nicht immer so, wie wir uns das wünschen. Hätten er und deine Mutter einen Sohn bekomm…«
»Haben sie aber nicht«, unterbrach Jin ihn mit einer Heftigkeit, die ihn erschreckte. » Haben sie nicht – und Mum lebt nicht mehr,
und ich bin Dads letzte Chance. Seine letzte Chance – kannst du das nicht verstehen?«
»Jin …« Corwin hielt inne, durchforstete seinen Verstand sinnlos nach etwas, das er sagen konnte … und als er zögerte, ertappte er sich dabei, wie er das Gesicht der jungen Frau vor ihm eingehend musterte.
In ihrem Gesicht erinnerte ihn vieles an Justin, in den Zügen sowohl als auch in ihrem Ausdruck. Wenn er jedoch über die zwanzig Jahre nachdachte, die seit ihrer Geburt vergangen waren, entdeckte er in ihrer Art und ihrer Persönlichkeit noch mehr von ihrem Vater. Wie viel davon, überlegte er vage, war wohl ausschließlich genetisch bedingt, und wie viel durch die Tatsache, dass Justin sie seit ihrem neunten Lebensjahr allein erzogen hatte? Als ihm Justin einfiel, zog ein neues Kaleidoskop von Bildern an seinem inneren Auge vorbei: Justin, gerade frisch aus der Cobra-Akademie entlassen, aufgeregt wegen der bevorstehenden Mission nach Qasama, dieser zu jenem Zeitpunkt vollkommen rätselhaften Welt; ein älterer und abgeklärterer Justin bei seiner Hochzeit mit Aimee Partae, der Corwin und Joshua von dem Sohn erzählt, den er eines Tages haben und der die Cobra-Tradition der Familie Moreau fortführen würde; Justin und seine drei
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