Cobra
es das Wir-gegen-die-Gefühl, das Soldaten in der Grundausbildung gegenüber allen anderen empfanden … und ganz besonders gegenüber ihren Ausbildern. Dadurch, dass sie geholfen hatte, Layns Roboter zu zerstören, war sie plötzlich ein Teil dieses »Wir« geworden.
Oder zumindest, warnte sie sich selbst, habe ich einen Fuß in der Tür. Fürs Erste wenigstens genügte ihr das. Die erste Hürde, hatte ihr Vater sie oft ermahnt, war immer die schwerste.
Einen kurzen Augenblick nur legte sie die Stirn in Falten, als ihr ein seltsamer Gedanke durch den Kopf schoss. Layn hatte sie den Roboter doch bestimmt nicht absichtlich zerstören lassen? Nein – natürlich nicht. Schon der Gedanke war absurd. Er hatte selbst zugegeben, wie wenig er ihr den Erfolg gönnte.
Apropos Erfolg … Sie wandte sich wieder ihrem Lesegerät zu und gab einen kurzen Überblick über die Stunden in Überwachungstechniken ein. Sun hatte es bereits gesagt – ihnen stand eine Prüfung bevor.
46
Der Wecker auf seinem Schreibtisch klingelte. Corwin hob den Kopf und blickte leicht überrascht darauf. Irgendwie, ohne dass er es gemerkt hätte, war der Nachmittag verstrichen. Es war vier Uhr fünfzig, und in nur vierzig Minuten sollte die Party drüben in Justins Haus beginnen. Die Party für die bestandene Abschlussprüfung seiner Tochter an der Cobra-Akademie.
Einen Augenblick lang starrte Corwin mit leerem Blick auf den Wecker, während seine Gedanken fast dreißig Jahre zurückwanderten zu einer ähnlichen Feier, die seine Eltern für Justin selbst gegeben hatten. Es war ein angespannter Abend gewesen, alle hatten sich bemüht, die Tatsache zu ignorieren, dass der frischgebackene Cobra und sein Zwillingsbruder ein paar Tage später zu der geheimnisvollen Welt von Qasama aufbrechen und vielleicht nicht zurückkehren würden.
Und jetzt war es Jin, die in einer Woche aufbrechen würde. Zu derselben Welt. Unter fast identischen Umständen.
Um zu versuchen, dasselbe Problem zu lösen.
Corwin konnte sich verschwommen an eine Zeit erinnern, in der er, jung wie er gewesen war, geglaubt hatte, man bräuchte ein Problem nur beim ersten Mal richtig anzugehen, um es für immer aus der Welt zu schaffen. Damals hatte er noch geglaubt, man könne wirklich Probleme ein für alle Mal lösen.
Bei der Erinnerung fühlte er sich plötzlich sehr alt.
»Corwin?«
Ruckartig wurde er zurück in die Wirklichkeit gerissen. »Ja, Thena, was gibt’s?«
»Der Generalgouverneur ist in der Leitung. Er sagt, es sei wichtig.«
Corwin sah erneut auf seine Uhr. »Das sagt er immer«, brummte er. »Also schön.« Er tippte auf die entsprechende Taste, und Thenas Bild wechselte mit dem von Chandler. »Ja?«
Chandler sah so aus, als hätte er auf einer unreifen Frucht herumgekaut. »Ich habe schlechte Neuigkeiten für Sie, Moreau«, sagte er ohne Vorrede. »Hier auf meinem Schreibtisch liegt ein Antrag, in dem verlangt wird, Ihren Bruder Justin in Gewahrsam zu nehmen, bis die Ermittlungen im Monse-Fall abgeschlossen sind. Er ist von einundsiebzig Mitgliedern des Cobra-Weltenrats unterzeichnet.«
Corwin spürte, wie sein Gesicht erstarrte. Einundsiebzig Mitglieder, das waren etwa sechzig Prozent – eine vollkommen unglaubliche Zahl. »Das ist doch lächerlich«, sagte er. »Die ganze …«
»Die ganze Geschichte«, schnitt ihm Chandler unerbittlich das Wort ab, »hat im Netz mehr Aufsehen erregt, als man nach sieben Wochen erwarten dürfte. Für den Fall, dass es Ihnen entgangen ist: Das Murren über die verdammte Sache ist nie ganz verstummt, und seit ungefähr einer Woche ist es wieder lauter geworden.«
Corwin biss die Zähne so sehr zusammen, dass es schmerzte. Er war mit den Vorbereitungen für die Qasama-Mission beschäftigt gewesen und hatte keine Zeit gehabt, sich über die Diskussionen in den aventinischen Medien auf dem Laufenden zu halten. Andererseits, warum hatten weder Justin noch Joshua oder sonstwer ihn darauf aufmerksam gemacht?
Weil sie nicht wollten, dass er sich Sorgen machte, darum. Und so hatte die Priesly-Bande hinter seinem Rücken eifrig daran gearbeitet, ihre Ränke zu schmieden.
Aber vielleicht war es für einen Gegenanschlag noch nicht zu spät. Ein Antrag, selbst vom Cobra-Weltenrat, war rechtlich für den Generalgouverneur nicht bindend. Wenn es ihm gelang, Chandler auf seine Seite zu ziehen … oder wenigstens zur Neutralität zu verpflichten … »Da Sie mich in dieser Sache anrufen«, begann er vorsichtig, »nehme ich an, dass
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