Cobra
gefunden hatte. War dies vielleicht immer noch der Nachmittag desselben Tages? Nein, dafür fühlte sie sich viel zu ausgeruht. Abgesehen davon … Sie versuchte vorsichtig, den Hals zu drehen. Immer noch ein wenig steif, aber längst nicht mehr so schlimm wie vorher. Mindestens ein Tag war vergangen, wahrscheinlich mehr.
Und während der ganzen Zeit war sie bewusstlos gewesen! Auf natürliche Weise? Oder hatte man sie unter Drogen gesetzt?
Unter Drogen gesetzt und verhört ?
Rechts von ihr knarrte Holz. Jin drehte den Kopf. In einem unförmig aussehenden Sessel neben dem Fenster saß ein junges Mädchen von vielleicht sieben oder acht Jahren mit einem aufgeschlagenen Buch auf dem Schoß. »Hallo«, krächzte Jin.
Das Mädchen hob erschrocken den Kopf. »Hallo«, sagte sie, schloss das Buch und legte es neben sich auf den Tisch. »Ich habe gar nicht gemerkt, dass du wach bist. Wie fühlst du dich?«
»Ganz gut«, sagte Jin. Diesmal kamen ihr die Worte etwas leichter über die Lippen. »Aber ich bin hungrig. Wie lange hab ich geschlafen?«
»Och, lange – fast fünf Tage – manchmal warst du auch wach und hast gefiebert, einen Teil de…«
»Fünf Tage ?« Jin merkte, dass ihr vor Staunen die Kinnlade herunterfiel … und dann erst wurde ihr klar, was das Mädchen
noch geäußert hatte. »Ich habe gefiebert, hast du gesagt?«, erkundigte sie sich vorsichtig. »Hoffentlich habe ich nichts zu Seltsames von mir gegeben.«
»O nein, aber meine Tante hat gesagt, du bist sehr stark.«
Jin verzog das Gesicht. »Ja, das hab ich schon einmal gehört.« Hoffentlich hatte sie mit ihrer cobraunterstützten Körperkraft niemanden verletzt … oder sich verraten. »Hat jemand – entschuldige, wie heißt du eigentlich?«
Das Mädchen machte ein erschrockenes Gesicht. »Oh – verzeih.« Sie senkte den Kopf, hob ihre rechte Hand und berührte mit den geschlossenen Fingern die Stirn. »Ich bin Gissella, die zweite Tochter von Namid Sammon, dem jüngeren Bruder von Kruin Sammon.«
Jin ahmte die Geste nach und beobachtete dabei aufmerksam Gissellas Gesicht. Wenn sie es verpatzt hatte, so schien das jüngere Mädchen es jedenfalls nicht zu bemerken. »Ich bin Jasmine«, stellte Jin sich vor. »Dritte Tochter von Justin Alventin.«
»Ist mir eine Ehre.« Gissella nickte, stand auf und trat zum Fußende des Bettes. »Entschuldige, aber ich soll meiner Tante Ivria Bescheid sagen, wenn du aufwachst.«
Sie ging zu einem Apparat an der Tür, der wie ein in die Wand eingelassenes InterKom aussah, und während sie ihre Verbindung bekam und ihre Neuigkeiten loswurde, machte Jin eine rasche Bestandsaufnahme ihrer Verletzungen.
Es war erstaunlich. Die tiefen, klaffenden Wunden auf Arm und Wange waren bereits wieder mit rosafarbener Haut bedeckt, und die dunklen blauen Striemen, die die Sicherheitsgurte des Shuttles auf ihrer Brust hinterlassen hatten, waren vollständig verschwunden. Linkes Knie und Ellenbogen schmerzten noch, waren jedoch in einem besseren Zustand, als sie erwartet hatte. Entweder waren die Verletzungen nicht so schwerwiegend, wie sie angenommen hatte, oder aber …
Nein. Kein »Aber«. Die qasamanische Medizin war ebenso weit entwickelt wie die der Cobra-Welten, ganz einfach. Vielleicht sogar weiter.
Gissella beendete ihr Gespräch und trat zu einem Kleiderschrank auf der anderen Seite der Tür. »Sie werden gleich hier sein«, sagte sie, nahm hellblaue Kleidungsstücke heraus und hielt sie hoch, damit Jin sie begutachten konnte. »Tante Ivria dachte, du möchtest dir vielleicht etwas anziehen, bevor sie kommen.«
»Ja, gerne«, nickte Jin, schlug die pelzige Decke zurück und schwang ihre Beine aus dem Bett.
Der Stoff, fand sie rasch heraus, unterschied sich deutlich von der Nachahmung, in der das Kommando gelandet war, aber der Schnitt war ähnlich. Trotzdem, Jin ging kein Risiko ein, täuschte Schwierigkeiten mit ihrem linken Arm vor, damit Gissella ihr beim Zuschnüren half. Zum Glück blieben ihr größere Überraschungen erspart. Was bedeutet, dass ich von jetzt an imstande sein müsste, mich selbst anzukleiden, dachte Jin, während sie den Saum der kurzen Bluse glattstrich. Wenigstens bei solchen Kleidern. Sie versuchte, sich zu entspannen, und lauschte, ob die anderen kamen.
Lange brauchte sie nicht zu warten. Nach einigen Minuten nahm ihr akustischer Verstärker das Geräusch von Schritten auf, drei Personen, die sich näherten. Sie holte tief Luft, sah zur Tür … und einen Augenblick später
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