Cocaine oder die Lust zur Hingabe
ihr gesagt, sie sei doch sehr hübsch und sie wisse doch gar nicht, was Joe denke. Schließlich sei er ja auch nicht mehr als einer von Don Micheles Dobermännern. Aber das stimmte nicht ganz. Joe war anders, wie ein edles Rassepferd unter lauter Ackergäulen. Auf ihren Flirt ließ er sich jedenfalls nie ein. Er schien unerreichbar für sie.
Am ersten Tag hatte er sie genau in Augenschein genommen, aber eher so, wie er sich jeden Morgen im Saal umschaute. Als ob er prüfen wolle, ob von ihr eine Gefahr ausging. Die Prüfung hatte sie wohl bestanden, aber mehr als ein freundschaftliches Wort hier und da ... sie seufzte und stürzte sich in ihre Arbeit, um sich von der Enttäuschung abzulenken, die sie nach jedem Gespräch mit Joe befiel.
Sie nahm im Vorbeigehen eine weitere Bestellung auf, gab sie nach hinten in die Küche durch, tat frisches Pulver und Wasser in den Kaffeeautomaten und wischte die Theke, während der Kaffee zu Blubbern anfing und sein tröstliches Aroma den Raum erfüllte.
Als Joe schließlich ging, sah sie ihm nach. Nur ein Kuss und sie würde wissen, wie es im Himmel war.
***
Joe schlenderte die langen Gänge der Villa zum privaten Trakt entlang. Er ließ sich Zeit, schließlich war er kein Flaschengeist, der willenlos sofort erschien, wenn der Don mit den Fingern schnippte.
Er musste lächeln, als er daran dachte, wie er Katie angeschwindelt hatte. Er konnte immer schlafen, wenn er das wollte, zumindest während seiner Einsätze. Von dem Gewitter hatte er nichts mitbekommen. Die Gelegenheit zu einer guten Ausrede für seine Müdigkeit hatte er aber sofort ergriffen. Jede Kleinigkeit konnte ihn hier verraten.
Einschlafen war für ihn eine Sache von Sekundenbruchteilen, und genauso gezielt konnte er wieder aufwachen, beim leisesten Geräusch oder zu der Zeit, die er sich vornahm – bis auf heute Morgen. Die Tatsache, dass er verschlafen hatte, nahm er als das, was es war: eine ernste Warnung. Nach einem halben Jahr in
ständiger Anspannung ließen ihn seine Kräfte langsam im Stich. Es wurde Zeit für endgültige Ergebnisse und einen sauberen Abgang.
Don Michele thronte in seinem schwerem Ledersessel hinter dem großen Schreibtisch und streichelte selbstvergessen seine Angorakatze. Er hatte sie auf den blöden Namen ,Puschel' getauft. In diesem Augenblick erinnerte er wirklich fatal an Marlon Brando im ,Paten'. Er wurde seiner eigenen Karikatur immer ähnlicher. Joe musste an sich halten, um nicht zu grinsen, was bei Don Michele ziemlich schlecht angekommen wäre.
In diesem Augenblick geruhte der Don, Joe zu bemerken. Don Michele mochte ihn, trotzdem glitzerten die Augen hinter den halb geschlossenen Lidern wie üblich kalt wie ein Grab, wenn der Frost sein weißes Leichentuch darübergebreitet hatte.
„Ah, Joe.", murmelte er.
Joe verneigte sich kurz. „Capo."
„Ich nehme an, es ist alles vorbereitet? Ich will genau wissen, wann er den Flughafen betritt, und wer alles bei ihm ist. Ich will über jeden seiner Schritte informiert sein, bevor ich mit ihm spreche, ist das klar?"
Joe nickte. „Wir werden jeden fotografieren, mit dem er in Kontakt tritt, und auch jeden seiner Leibwächter und Mitarbeiter."
„Gut. Du kannst jetzt gehen. Und sag Tom bescheid, er soll mir mein Frühstück bringen."
Joe nickte knapp und wollte schon gehen, als der Don ihn zurückrief. „Ach und Joe? Ich kann mich doch darauf verlassen, dass er nichts davon mitbekommt? Ich will nicht, dass Ralston auch nur einen Hemdzipfel von euch sieht."
„Geht klar, Capo."
***
Der mit dem braunen Cashmeremantel, das musste Ralston sein. Der Halbkolumbianer mit dem einflussreichen und in zweifelhaften Geschäftskreisen von San Francisco bis Baton Rouge weithin bekannten Vater betrat, umgeben von vier Leibwächtern, das Flughafengebäude. Seine Haut war dunkel und die Haare schwarz, doch seine Gesichtszüge deuteten in nichts darauf hin, dass seine Mutter aus Südamerika stammte. Das vorspringende Kinn und die schmalen Lippen bestanden nur aus harten Kanten und die dunklen Augen wirkten wie tot.
Joe hatte sich als Flughafenangestellter getarnt. Giacomo markierte mit Shorts, Ringel-Shirt und weißen Turnschuhen den Touristen, der ,seine Frau', ein weiteres Mitglied von Don Micheles ,Familie', zu fotografieren schien. In Wirklichkeit nahm er mit seiner Spezialkamera, deren Objektiv sich unsichtbar an der linken Seite des Apparates befand, jeden der ankommenden Passagiere auf. Die Kamera sendete die Bilder dann per
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