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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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eigentümliche Reaktion seiner Moleküle auf ihre Berührung. Pünktlich um zehn Uhr ist er da, hinter dem Rücken hält er einen Strauß gelber Narzissen verborgen. Für das Treffen mit ihr hat er einen Morgen Arbeit geopfert, was er sonst nach Möglichkeit vermeidet. Aber jetzt steht er hier am Zooeingang. Coco hat sich verspätet, und seine Unruhe wächst.
    Nervös scharrt er mit dem Fuß etwas Kies beiseite und tritt ihn anschließend wieder fest. Er ist sich nicht sicher, was er von diesem Treffen erwarten soll. Wenn sie das Ballett finanziell unterstützen will, warum wendet sie sich dann nicht gleich an Diaghilew? Das wäre der passendere Weg. Worüber will sie überhaupt so dringend mit ihm reden? Natürlich fühlt er sich geschmeichelt, aber er hofft, dass er nicht gezwungen sein wird, sich zu demütigen. Ihre Unterstützung wäre ihm durchaus willkommen, aber nicht um jeden Preis.
Er wird ihr unmissverständlich klarmachen, dass er sich nicht kaufen lässt. Ganz sachlich wird er ihr zu verstehen geben, dass sie ihn nicht so leicht für sich gewinnen kann.
    Sie kommt über eine halbe Stunde zu spät und entschuldigt sich nicht einmal dafür. Im Geiste hat er sich schon eine vorwurfsvolle Ansprache zurechtgelegt, aber sein Ärger verfliegt, als er sie auf sich zuschweben sieht. Sie lächeln einander schon von Weitem an. Plötzlich spürt er nur noch Erleichterung. Zur Begrüßung reicht sie ihm die weiß behandschuhte Hand. Aufmerksam küsst er sie auf beide Wangen.
    Bei ihrer letzten Begegnung kam es ihm so vor, als sei sie viel jünger als er. Aber von Diaghilew weiß er, dass sie ungefähr gleich alt sind. Sie ist vielleicht ein, zwei Jahre jünger. Sechsunddreißig? Siebenunddreißig? Doch jetzt erkennt er, wieso er diesem Irrtum erlegen ist. Ihr Körper ist immer noch straff wie der einer Frau Mitte zwanzig. Ihre Arme sind schlank, ihr Busen fest, und wenn sie geht, sind ihre Schritte von mädchenhafter Leichtigkeit.
    Igor zaubert die Narzissen hinter seinem Rücken hervor. »Für Sie.« Er sieht, wie glatt die Haut an ihren Schläfen ist, wie klar konturiert die kleinen Grübchen, die an ihren Mundwinkeln auftauchen, wenn sie lächelt.
    Als sie den Blick senkt, nimmt ihr Kinn den gelblichen Ton der Blüten an. Sie hält sie mit einer Hand vor sich wie eine Fackel. »Die sind ja bezaubernd, danke.« Dann besinnt sie sich und fügt hinzu: »Es tut mir furchtbar leid, dass ich mich verspätet habe.« Etwas Blütenstaub bleibt an ihren weißen Handschuhen haften.
    Als wollte sie ihre Verspätung wieder gutmachen, besteht sie darauf, den Eintritt zu bezahlen. Als Erstes gehen sie ins Aquarium. Bläuliches Halblicht spielt auf den Wänden und
ihren Gesichtern. Die Blumen wirken in dieser Beleuchtung grün.
    Als sie sich vor dem Becken nach vorn beugen, sehen sie, wie die Herzen der Fische deutlich sichtbar in ihren Körpern schlagen. Sie schweigen, während sie die Tiere und ihr eigenes Spiegelbild im Glas beobachten.
    Dann richtet sie sich wieder auf, und wie jemand, der gleich zur Sache kommen will, sagt sie: »Wissen Sie, was ich mich bei dem Essen vor ein paar Tagen gefragt habe?«
    »Nein, was?« Igor richtet sich ebenfalls auf.
    »Ich habe mich gefragt, warum Sie nicht mit mir reden?«
    »Wirklich? Ich dachte, ich hätte mit Ihnen geredet.«
    »Nach der ersten halben Stunde nicht mehr.«
    »Sie hätten doch auch mit mir reden können«, setzt er sich zur Wehr.
    »Stimmt. Aber ich wollte lieber abwarten und hören, was Sie zu sagen hatten.«
    »Und?«
    »Ich warte immer noch.«
    Bis auf seine Mutter hat Igor nur selten Angst vor Frauen, aber allmählich beginnt ihn Coco zu verunsichern. Sein Mund wird trocken, er hat das Gefühl, keinen Ton mehr herauszubringen, und kommt sich unbeholfen vor. Seine Kehle schnürt sich zu.
    Als sie nach draußen kommen, sieht Coco, dass er verwirrt ist. Ihr Scherz ist danebengegangen. Sie weiß, dass es eine unpassende Bemerkung war, und jetzt fürchtet sie, er könne sie für respektlos halten. Sie beobachtet ihn, als er weitergeht, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Aber sie braucht sich keine Sorgen zu machen - er ist nicht gekränkt, er weiß nur nicht, wie er reagiern soll.
    Vor ihnen schreiten zwei Löwen in engen Kreisen durch
ihren Käfig. Die Stäbe spiegeln sich als Schatten auf dem Boden. Igor ergreift die Gelegenheit. Vielleicht weil er in ihnen Seelenverwandte erkennt, beginnt er sich bitter über seine angespannte finanzielle Lage und die beengten

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