Cocoon, Band 01
begrüßen.
Ich schüttle den Kopf. Ich habe keine Lust, so zu tun, als wären wir Freunde.
»Das habe ich mir gedacht. Heutzutage ist es für gewisse Bürger eher schwierig, Passierscheine zu erhalten.« Er lächelt, und zum ersten Mal bemerke ich eine Falte auf seinem makellosen Kinn. Mit gewisse Bürger meint er Frauen und Dienstleister.
Cormac gibt das Tempo vor, ich schlendre mit ihm durch die äußeren Bereiche der Station. Es gibt einen schmalen Stand mit Schuhpolitur, einen Mantelbürstdienst und ein kleines Restaurant. Er bedeutet mir, ihm in das Lokal zu folgen, und ein Kellner führt uns hinauf in eine Loge im zweiten Stock. Von hier aus können wir die Reisenden, die in der großen Marmorhalle auf ihren Transfer warten, gut beobachten. Es ist viel los – das Klacken von Reiseschuhen, Unterhaltungen über die Komplants und das Rascheln der Bulletin -Seiten erfüllen den Raum und werden durch das Echo in der weiten Halle noch verstärkt. Der Geräuschpegel ist beinahe ohrenbetäubend.
»Junge Frau, könnten Sie mir bitte Ihre Privilegienkarte zeigen?«, sagt der Kellner mit einem respektlosen Grinsen zu mir.
Ich sehe an meinem einfachen Kleid herunter und bemerke, dass ich nicht einmal meinen Identitätsausweis bei mir habe, aber Cormac antwortet für mich, bevor ich eine Entschuldigung vorbringen kann.
»Sie ist mein Gast. Wollen Sie meine Privilegienkarte auch sehen?« Es ist eher eine Herausforderung als eine Frage.
Der Kellner blickt ihn an, und sein hochmütiges Lächeln verschwindet. »Botschafter Patton, es tut mir leid. Ich habe Sie nicht erkannt. Ich habe nur das Mädchen gesehen.«
Irgendetwas an der Art, wie er das Mädchen sagt, gibt mir das Gefühl, schmutzig zu sein.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen. Wahrscheinlich bekommen Sie hier nicht viele Mädchen zu Gesicht.« Er lacht, und der Kellner stimmt ein.
»Man hat uns leider nicht informiert, dass hier ein Einberufungstrupp durchreist, sonst hätten wir Vorbereitungen getroffen«, versichert er.
»Es war eine Einberufung auf den letzten Drücker, deswegen konnten wir nicht vorher Bescheid geben.«
»Also ist sie eine … « Der junge Kellner sieht mich mit einem Mal voller Ehrfurcht an.
»Sie ist eine Kandidatin. Also behandeln Sie sie, als wäre sie eine Webjungfer.« In Cormacs Tonfall liegt eine leise Warnung, der junge Mann nickt mit feierlichem Ernst.
Er bedient mich von vorne bis hinten, obwohl ich nicht selbst bestellen darf. Und als ob ein lauernder Kellner noch nicht genug wäre, starren alle Männer mich an. Es ist ihr schamloser Blick, der mich auf etwas sehr Interessantes aufmerksam werden lässt.
Beim Betrachten der geschäftigen Reisenden sehe ich eine Menge Anzüge und Männerhüte. Die einzige andere Frau in der Station nimmt Mäntel an dem Reinigungsstand entgegen, den ich vorher schon bemerkt hatte. Offensichtlich ist es nur Männern erlaubt, hier zu essen. Ich wusste, dass das Transferieren wichtigen Geschäftsleuten vorbehalten ist, aber ich wusste bisher nicht, dass die ganze Station geschlechtergetrennt ist. Ich fingere am Saum meines Kleids herum. Es ist sehr warm hier.
»Lüsterne Kerle«, bemerkt Cormac und lacht in sich hinein. »Heutzutage sieht man nur noch selten Frauen ausgehen. Zumindest nicht ohne ihre Ehemänner.«
Ich brauche eine Minute, um zu begreifen, dass er mich meint. Ich bin die Frau, die ausgeht.
»Ich rate dir, etwas zu essen. Ich weiß, dass du nicht viel im Magen haben kannst, nicht, nachdem dich dieser bekloppte Arzt vorhin so vollgepumpt hat. Man sollte meinen, dass sie wissen, wie sie ein Mädchen von achtundfünfzig Kilogramm dosieren müssen, aber nein, es ist immer zu viel oder zu wenig. Trotzdem, du hast Glück – die Nilus-Station hat ein erstklassiges Bistro.« Er zeigt mit dem Kopf in Richtung Küchentür. »Es kann dauern, bevor du wieder etwas zu essen bekommst.«
»Ich habe keinen Hunger«, sage ich. Mein Lamm liegt unberührt vor mir auf dem Teller. Auch Cormac scheint sich trotz seiner eigenen Ratschläge wenig für sein Essen zu interessieren, aber das liegt daran, dass er permanent an seinem Whiskey nippt.
Cormac lehnt sich gegen den Tisch und sieht mich an. »Das habe ich mir schon gedacht. Trotzdem solltest du auf mich hören und essen.«
Ich denke an den Esszimmertisch, den weißen Kuchen in seiner Mitte und die Pfütze schwarzen Blutes zwischen den Tischbeinen. Ich schüttle den Kopf. Das Einzige, worauf ich wirklich Appetit habe, sind
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