Cocoon, Band 01
Uniformierte manövrieren uns in einen leeren, großen Raum voller Stuhlreihen, die auf eine weiße Wand ausgerichtet sind. Die anderen Mädchen sitzen zusammen, kichern und quatschen. Ich sehe, wie eines das Haar einer anderen berührt. Sie gehen so vertraut miteinander um. Diese Mädchen wurden nicht in Zellen eingesperrt, und sie haben offensichtlich schon mehr Zeit miteinander verbracht. Ich habe in den letzten Tagen eine ganze Menge verpasst.
Das Mädchen mit dem schwarzglänzenden Haar lässt sich in den Stuhl neben mir plumpsen. Ein würziger Kokosduft geht von ihr aus. Aus der Nähe betrachtet, schimmert ihre Haut goldbraun, und ihr enger, langer Rock betont ihre langen Beine. Sie ist mindestens fünfzehn Zentimeter größer als ich – ohne Absätze. Unwillkürlich bin ich etwas neidisch: erstens auf ihre exotische Schönheit, und zweitens darauf, wie entspannt sie in ihrer neuen Rolle ist. Zu meiner Überraschung dreht sie sich zu mir und spricht mich an. »Sie haben uns in zwei Gruppen eingeteilt. Du bist in meiner.«
»Sehe ich aus, als wüsste ich nicht wohin?«, frage ich mit einem schiefen Grinsen.
»Nein, du wirkst nur etwas überfordert«, antwortet sie. »Außerdem kann man sich leicht denken, dass du neu bist, die meisten von uns haben gemeinsame Zimmer.«
Ich senke die Stimme, so wie sie. »Gemeinsame Zimmer?«
»Nicht jede bekommt ein eigenes.« Sie zaubert ein strahlend weißes Lächeln auf ihre Schokoladenlippen.
»Tut mir leid, aber ich glaube, du hast mir was voraus.« Ich will wissen, woher dieses Mädchen etwas über mich und meine Lage weiß. »Ich bin Adelice.«
»Ich weiß«, sagt sie. »Ich heiße Pryana. Meine Mutter ist Zimmermädchen in einem kleinen Hotel für Geschäftsleute. Sie hat mir beigebracht, dass man den besten Klatsch von den Zimmermädchen erfährt. Und derzeit bist du der beste Klatsch.«
Ich denke an die Jungen und Mädchen, die mir mein Essen bringen, das Feuer in meinem Kamin anfachen und mir Kleider hinlegen, und komme mir vor wie eine blöde elitäre Zicke. Sicher nimmt man mich so wahr – eine eifrige Kandidatin, die nach Macht giert. Dabei ist mir nie in den Sinn gekommen, dass diese Leute Informationsquellen sein könnten. Oder dass sie mich beobachten.
»Das werde ich mir merken.«
»Also, pass auf«, sagt Pryana noch leiser, sodass unsere Unterhaltung im allgemeinen Gemurmel untergeht. »Auf deinem Niveau achten sie sehr darauf, wer dich bedient. Und mit deiner Geschichte … “
»Auf meinem Niveau?«
»Mädchen, denkst du vielleicht, wir alle würden so im Luxus schwelgen? Verstehe mich bitte nicht falsch, ich bin ganz zufrieden mit meiner Situation. Aber alle im Konvent fragen sich, wie eine ganz normale Kandidatin im hohen Turm landen konnte.«
»Auf jeden Fall muss ich mich mit einem Zimmermädchen anfreunden«, murmle ich. Mir dreht sich der Kopf angesichts all dieser neuen Informationen. Ich habe eine ganz gute Vorstellung davon, warum ich eine Spezialbehandlung bekomme, und es hat nichts mit Bevorzugung zu tun.
Pryana sieht mich skeptisch an, sie nimmt mir meine Unwissenheit nicht ab. Aber falls sie vorhat, mir auf den Zahn zu fühlen, bekommt sie keine Gelegenheit dazu, denn auf der weißen Wand vor uns erscheinen nun strahlende Farben. In einer Ecke formt sich das Abbild einer Frau. Es handelt sich um einen holografischen Vlip. Alles erscheint dreidimensional, als stünde die Frau hier bei uns im Raum.
»Willkommen beim Training«, lächelt uns das Hologramm entgegen. »Zum Dienst an der Gilde der Zwölf berufen zu sein, ist eine Ehre, und Ehre bringt Privilegien mit sich. Der Konvent des Westens will dafür sorgen, dass der Übergang zur Webjungfer für euch glatt verläuft und Spaß macht. Jeder von euch wird eine Mentorin für das Training zugewiesen. Sie wird eure Fragen beantworten und euch in Sachen Benehmen und Kleidung beraten.«
Ich sehe mich um. Die Blicke der anderen Mädchen sind wie gebannt auf den Vlip gerichtet. Pryana ertappt mich beim Herumschauen und grinst.
»Arras braucht Mädchen wie euch«, fährt die Schauspielerin im Vlip fort. »Die Gilde ist eine komplexe Organisation, auf deren Schultern die Sorge um die ganze Welt lastet, und ihr seid ein wichtiger Teil unserer Elite. Während des Trainings wird man euch bei der Verrichtung verschiedener Aufgaben beobachten. Wir messen eure Fähigkeiten, eure Präzision und eure Hingabe für den Erhalt von Arras. Eure Arbeit wird sorgfältig kontrolliert, und auch euer
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