Cocoon, Band 01
der Manipulation, die Arras erweitert und lebenswichtige Elemente sichert. Frieden und Wohlstand in Arras werden durch eure Arbeit an den Webstühlen ermöglicht. Das Befolgen der Webmuster sichert das fehlerfreie Funktionieren der Metros. Das Durchsuchen des Gewebes nach Abweichungen erlaubt es uns, bedrohliche Verhaltensweisen und Umstände abzustellen, bevor sie die Sicherheit der Einwohner negativ beeinflussen. Es wurden spezielle Techniken zum Säubern und Auswechseln der zu schwachen oder verdrehten Fäden entwickelt. Wir arbeiten mit den Akademien zusammen, um Abweichler schon in jungen Jahren zu erfassen. Dadurch entsteht eine absolut verbrechens- und unfallfreie Bevölkerung. Wir verlassen uns darauf, dass ihr uns über jede Unregelmäßigkeit im Gewebe zeitnah informiert.«
Das hat Cormac also gemeint, als er mich im Café ausgelacht hat. Arras ist nicht so friedlich, wie der Stream und die hohen Beamten es uns glauben machen wollen, zumindest nicht von sich aus. Wie auch immer das Säubern funktioniert, ich bin mir sicher, dass sie genau das nach meiner verpatzten Einberufung in Romen gemacht haben. Würde sich die Bevölkerung immer noch so sicher fühlen, wenn sie wüsste, dass es abweichendes Verhalten gibt, das nur aus dem Gedächtnis gelöscht wird? Oder dass die Fäden ihrer Kinder herausgerissen werden können, wenn eine Lehrkraft Bedenken äußert? Zum ersten Mal bin ich froh, dass ich keine Lehrerin bin, die in so einer Situation steckt. Und ich verstehe jetzt, warum wir in diesem Käfig mit falschen Fenstern gehalten werden. Nachdem wir all das nun wissen, können sie uns wirklich nie wieder nach Hause lassen.
Der Vlip zeigt nun statt des Hologramms eine Diashow von Arras, was meine Aufmerksamkeit von der schrecklichen Erkenntnis ablenkt. Ich betrachte die Bilder, bin jedoch enttäuscht – die Metros auf dem Vlip sehen genau wie Romen aus. Viel Beton, Hochhäuser mit Tausenden von Fenstern ragen aus den Metro-Zentren hervor, in einem exakt spiralförmigen Muster von kleineren Häusern und Geschäften umgeben. Nur die Pflanzen sind anscheinend andere. In Romen hatten wir Gras und Ulmen, Büsche und sorgsam gehegte gelbe und weiße Blumen. In diesen Metros hingegen gibt es Palmen, Kiefern, Farne und hohes, gelbes Gras – alles Pflanzen, die ich nur von den Bildschirmen im Akademieunterricht kenne. Die Unterschiede sind minimal, aber es ist trotzdem irgendwie aufregend, den Rest von Arras zu sehen.
»Willkommen im Konvent des Westens. Mögen eure Hände gesegnet sein«, beendet die Hologrammstimme den Vortrag.
Das letzte Bild ist das eines hoch aufragenden Gebäudekomplexes, das ich schon oft in der Akademie gesehen habe. Es ist der Ort, an dem ich jetzt bin: Der Konvent des Westens. Einige Mädchen quietschen vor Begeisterung, aber ich spüre das Gewicht des Betons und der Steine um mich herum. An der Anlage ist nichts Besonderes. Sie ist von Mauern umgeben. Industriell. Was die anderen begeistert, ist das, wofür es steht – das Versprechen von Macht und Privilegien. Ich sehe nur, dass das Gebäude keine Fenster hat und dass es wie ein unendlich hoher Käfig, aus dem es kein Entkommen gibt, in den wolkenlosen Himmel ragt.
»Du siehst ein bisschen blass aus«, flüstert Pryana mir zu, als der Bildschirm erlischt. »Ist dir schwindelig von den bewegten Bildern?«
Ehrlich erfreut über ihr Interesse schüttle ich den Kopf. »Mir geht’s gut. Die letzten Tage waren nur sehr anstrengend.«
»Also ich bin bereit, an den Webstühlen loszulegen. Seit der Prüfung bin ich schon scharf darauf.« Ihre kaffeeschwarzen Augen glänzen vor Vorfreude.
»Konntet ihr sie noch nicht ausprobieren?«, frage ich verblüfft.
»Nein. Bis jetzt hatten wir nur Maßnehmen, Benimmunterricht und Vlip-Vorträge in kleinen Gruppen. Lass mal überlegen. Wir sind mindestens hundertmal darauf hingewiesen worden, dass wir unbedingt keusch bleiben müssen, wenn wir unsere Fähigkeiten bewahren wollen.«
»Sieht nicht so aus, als wäre das hier ein großes Problem.« Ich lache über ihren genervten Gesichtsausdruck.
»Machst du Witze?« Sie rollt mit den Augen. »Hast du den da gesehen?« Sie deutet auf die Tür, an der Erik schon wartet, um uns zu unserer nächsten Veranstaltung zu scheuchen. Enora sehe ich nicht, aber ich vermute, dass sie um diese Zeit wie die meisten Webjungfern bei der Arbeit ist.
»Der?«, frage ich lässig.
»Komm schon. Der sieht super aus! Wenn alle Assistenten so gut aussehen, dann müssen
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