Cocoon, Band 01
plötzlich viel älter aussehen.
»Und warum sprichst du dann so mit mir?«
»Weil du weggelaufen bist.«
»Ich bin wohl kaum die erste Kandidatin, die wegläuft.« Ich schüttle ungläubig den Kopf.
»Nein, aber du bist etwas Besonderes.«
»Ach ja? Und was macht mich so besonders? Oder erzählst du allen flüchtigen Mädchen verräterisches Zeug?« Ich merke, dass ich mit ihm flirte, und bin erstaunt, wie wohl ich mich dabei fühle.
»Dich haben sie nicht umgebracht.« Mit einem Mal ist alle Lockerheit verflogen. Es ist klar, dass er es ernst meint.
»Dann ist es vielleicht gut, anders zu sein.«
Keiner von uns beiden lacht.
»Warum?«, frage ich nach kurzem Schweigen.
»Wie?«
»Warum bringen sie mich nicht um? Ich bin weggelaufen, meine Eltern haben versucht, mich zu verstecken. Warum lassen sie mich leben?«, frage ich, und er dreht sich weg.
»Ich habe da so meine Theorien.«
»Und die wären?«, forsche ich weiter.
»Ich bin mir nicht sicher, ob du schon bereit dafür bist.«
»Ganz schön arrogant. Bildest du dir ein zu wissen, wofür ich bereit bin?« Seine Überheblichkeit nervt mich mindestens so sehr wie seine Geheimniskrämerei.
»Ich dachte, es würde dir gefallen, wenn ich auf dich aufpasse . « Er grinst, und die Stimmung in der Zelle hellt sich wieder auf.
»Du willst mir also gefallen?«
»Ich hab was übrig für Hochverräter.«
»Woher weißt du eigentlich, dass ich wirklich eine Hochverräterin bin?«, frage ich. »Vielleicht ist es ja reine Zeitverschwendung, sich mit mir zu befassen.«
»Du bist zum zweiten Mal in einer Woche in der Zelle und immer noch am Leben.« Er kneift die Augen zusammen, wie um mich genauer zu begutachten. »Entweder will Maela dich stubenrein kriegen, oder du hast etwas, worauf sie es abgesehen haben.«
»Ein loses Mundwerk vielleicht?«
»Darüber schweigt Maela sich aus.« Er schnaubt. »Wenn du dich einfach mal ruhig verhalten und nicht so viel Aufmerksamkeit auf dich ziehen würdest, dann könnten wir es herausfinden, Adelice.«
»Tja, da haben wir unser Problem.«
»Was? Deine Unfähigkeit, dich unauffällig zu verhalten?«, fragt er.
»Nein. Dass ich nicht mal deinen Namen kenne. Warum sollte ich dir vertrauen?«
»Josten.« Er lächelt, und seine Augen lächeln mit. »Aber Hochverräter nennen mich Jost.«
»Schön, dich kennenzulernen, Jost.« Ich strecke ihm die Hand entgegen und beginne, vor Kälte zu bibbern, kaum dass ich nicht mehr beide Arme um den Leib geschlungen habe.
»Hier.« Er zieht seine einfache, fadenscheinige Jacke aus und legt sie mir um die Schultern. »Leider muss ich die wieder mitnehmen, wenn ich gehe. Es wäre niemandem geholfen, wenn sie sähen, dass ich Gefangenen Geschenke mache. Das würde nur die Aufmerksamkeit auf mich lenken.«
Die Jacke ist weich und riecht nach Rauch und frischem Lavendel. Ich bin dankbar für die Wärme, auch wenn sie nicht lange vorhält.
»Du solltest nicht hier sein«, sage ich. »Vermutlich beobachten sie mich.«
»Die gute Nachricht ist, dass sie den Zellentrakt nicht überwachen. Wenig Licht, steinerne Wände – wozu auch?« Er breitet die Hände aus. »Die schlechte Nachricht ist, dass du abgesehen davon recht hast. Sie behalten dich im Auge.«
»Warum bist du dann hier? Wie kann ich dir von Nutzen sein, wenn ich bereits verdächtigt werde?«
»Gute Frage. Aber da hier unten nie jemand hinkommt, können wir uns immerhin ohne Probleme unterhalten. Natürlich nur, solange du regelmäßig in eine Zelle gesteckt wirst.«
»Stimmt. Aber unauffällig ist das nicht gerade, oder?«
»Ja. Es ist eine vertrackte Sache«, antwortet er. »Ich bin heute auch nur hier, weil Erik seinen Pflichten als Schoßhündchen nachkommen muss.«
»Erik hat dich geschickt?«
»Der hübsche Blonde, der dich hier eingesperrt hat.«
»Ich weiß, wer er ist – und er ist tatsächlich hübsch – , aber warum hat er dich hergeschickt?«
»Ich habe dafür zu sorgen, dass die Webjungfern satt und glücklich sind, deshalb hat der hübsche Junge mich zu dir geschickt. Tut mir leid, dich zu enttäuschen, aber bitte erzähl mir nicht, dass du auf solche Typen stehst. Du hast doch wohl einen besseren Geschmack.«
»Ich will ihn nicht heiraten. Er sieht nur sehr gepflegt aus«, versichere ich Jost. »Wie das bei Schoßhündchen eben so ist.«
»Das lässt sich nicht abstreiten.« Jost fummelt am Saum meines maßgeschneiderten Kleids herum.
»Vermutlich bin ich ein schlechtes Schoßhündchen«, sage
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