Cocoon, Band 01
daran«, erwidere ich. Wieder entwischen die Worte, bevor ich sie mir verkneifen kann.
Sie starrt mich wütend an, fasst sich aber schnell wieder. »Wie bitte? Meinst du etwa, ich wäre dir unterlegen, weil ich an diesem Tag den Stoff nicht aufgetrennt habe?«
»Ich denke, dass du nichts aufgetrennt hast, weil du Angst hattest, und dass du deine Wut auf dich selbst und die Gilde jetzt an mir auslässt.«
»So ein Quatsch«, knurrt Pryana. »Wir waren nur wegen dir dort. Versuch nicht, das abzustreiten. Glaub, was du willst, aber die Wahrheit ist, dass alles deine Schuld war. Maela wollte dich testen. Und du hast versagt.«
Da hat sie wohl recht, und mir fällt keine Erwiderung mehr ein.
»Adelice.« Erik spricht weiter, als habe er nichts von dem Streit mitbekommen. »Du wirst in dem dir bereits zugewiesenen Zimmer bleiben.«
Also tröste ich mich damit, dass ich mein gemütliches neues Zimmer nicht aufgeben muss. Scheiß doch auf Pryana und ihre persönliche Habe.
»Da wir jetzt mehr miteinander zu tun haben werden«, fährt er fort und nimmt Pryanas Hand, »nenn mich doch bitte Erik.«
»Mehr miteinander zu tun?« Ich verspüre ein Kribbeln im Nacken.
Er wirkt zufrieden. »Obwohl ihr in die Webjungfernschaft aufsteigt, werdet ihr immer noch beobachtet. Während der nächsten Monate wird man euch evaluieren, und dann bekommt ihr eine längerfristige Stellung zugewiesen.«
»Kommen die anderen auch mit?« Pryana spricht aus, was ich denke, und erinnert mich daran, dass wir einen Nachmittag lang Freundinnen waren.
»Wir werden sie weiter beobachten, bis wir sicher sind, dass keine weiteren Webjungfern in der Gruppe sind. Einige werden vielleicht das grundlegende Nahrungsmittelweben erledigen, aber weiter werden sie es wahrscheinlich nie bringen.«
Keine weiteren Webjungfern? Ich kann nicht glauben, dass sie uns so schnell aussieben. Wird man die anderen in die Schneiderei oder zur Küchenarbeit abkommandieren? Ich bin froh, dass ich nicht dabei sein muss, wenn die freudige Erregung aus ihren Gesichtern verschwindet. Sie haben ein glanzvolles Leben erwartet, als sie ihr Zuhause verlassen haben, nicht eins, in dem sie schneidern und kochen. Und trotzdem bin ich froh, dass sie nicht erwählt wurden. Jede, die mit so viel Hingabe dem Konvent dient wie diese Mädchen, sollte lieber nicht Teil der Gilde werden. Eifrige Mädchen wollen Menschen wie Maela zu Gefallen sein.
»Weißt du, Erik«, schnurrt Pryana und schmeißt sich an ihn heran, »wir haben uns alle gefragt, warum Adelice ein Zimmer im hohen Turm hat.«
Seine Antwort ist dermaßen einstudiert, dass das Gewebe um ihn herum zu gerinnen scheint. »Maela hat ihre Gründe für das, was sie tut.«
Das sagt er sicher oft. Pryana scheinen seine Worte zu befriedigen. Oder vielleicht ist sie bloß schlau genug, keine weiteren Fragen zu stellen.
»Hier triffst du deine Mentorin, Pryana.« Erik öffnet eine große Metalltür und entzieht ihr schnell seinen Arm. Zu schnell. Pryana bemerkt es und schleicht bedrückt hinein.
»Üben wir nicht gemeinsam?«, frage ich so unschuldig wie möglich.
»Nein.« Er grinst. »Fürs Erste bist du aus dem Schneider.«
Vergeblich versuche ich weiter, die Unbedarfte zu spielen. »Arras sei Dank.«
»Ich tue mal so, als hätte ich das nicht gehört.« Erik lacht und hält mir seinen Arm hin.
Ich hake mich bei ihm ein und komme mir etwas unbeholfen vor. So bin ich noch nie zusammen mit einem Mann herumgelaufen.
»Kann ich dich was fragen?« Ich versuche, beiläufig zu klingen, doch die Worte sprudeln zu schnell aus mir heraus.
»Klar«, sagt er leichthin. Mir fällt auf, wie lässig er sich verhält, wenn Maela nicht in der Nähe ist.
»Wie bist du hier gelandet?«
»Das ist eine lange Geschichte.« Er seufzt.
»Wahrscheinlich haben die meisten hier eine lange Geschichte.«
»Da hast du wohl recht. Ich bin sozusagen von zu Hause weggelaufen, und jetzt kann ich nirgendwo mehr hin. Damals war ich erst fünfzehn, aber die Gilde nahm mich auf, als klar wurde, dass ich über die Fähigkeiten verfüge, die man als Assistent für Maela braucht.«
»Was für Fähigkeiten?«
»Am besten lässt es sich als moralische Flexibilität bezeichnen.« Er schenkt mir sein allerschiefstes Lächeln und verlangsamt seinen Schritt.
»Sind deine Eltern tot?«
Seine Miene verfinstert sich für einen Moment, und er nickt. Dann wechselt er schnell das Thema. »Hat Josten sich gut um dich gekümmert?«
Die Frage lässt mich einen Moment
Weitere Kostenlose Bücher