Cocoon, Band 01
Rolle zu mir heran, bis ich damit an den Saum meines Rockes herankomme, und schneide einen schmalen Streifen davon ab. Danach trenne ich noch weitere kleinere Stoffstücke ab, um, mit dem verletzten Finger beginnend, jeden meiner Finger zu umwickeln. An diese Verbände muss ich mich zwar erst gewöhnen, aber ganz ohne Schutz kann ich meine Finger auch nicht lassen.
Die Arbeit geht langsam voran. Manchmal bleibt der Draht an meinem Handrücken hängen und hinterlässt hässliche Schnitte, aber ich mache weiter und ignoriere das immer heftiger werdende Pochen in den Wunden. Eine Weile lang halten meine provisorischen Verbände, bis der an meinem Zeigefinger mit Blut vollgesogen ist und die anderen zerfetzt sind. Durchs Fenster sehe ich im Osten die Sonne aufgehen, mir bleiben höchstens noch fünf Stunden, doch die Spule sieht noch fast unberührt aus. Ich hole tief Luft, entferne alle Verbände, außer dem um meinen blutenden linken Zeigefinger, und greife den Draht fest zwischen dem rechten Zeigefinger und dem Daumen.
Ich konzentriere mich auf meinen Atem, fülle die Lunge jedes Mal zur Gänze und lasse die Luft langsam entweichen. Blutige Striemen bedecken meine Hände, doch ich gebe nicht auf und verdränge das leichte Schwindelgefühl. Und während mein Körper nach einem Frühstück verlangt – diese dummen regelmäßigen Mahlzeiten – und ich alles mit meinem Blut volltropfe, rutsche ich in einen Zustand der Selbstvergessenheit.
Die Abwesenheit von äußeren Geräuschen dröhnt in meinen Ohren. Oder vielleicht ist es auch mein Puls. Im Zimmer gibt es keine Uhr, nur den schwachen Schimmer des Morgenlichts, das sich fleckig über meine Arbeit breitet. Es wird von den weißen Plastikwänden zurückgeworfen und heizt sie auf. Ihr synthetischer Geruch erfüllt die Atelierluft, sodass sich mein Magen zusammenkrampft. Alles leuchtet in blendender Künstlichkeit. Lediglich das Blut auf den kalten Stahlfäden bildet einen dunklen Kontrast. Trotz brennender Schmerzen schaffe ich drei Viertel der Rolle, bevor Maela zurückkehrt.
Beim Anblick meiner zerschnittenen Hände lächelt sie. »Dir bleiben noch zwei Stunden, Adelice.« Sie beugt sich über meine Arbeit und fügt hinzu: »Mir fällt gerade ein, wie unhöflich es von uns war, dass wir dich nicht über das Wohlbefinden deiner Schwester auf dem Laufenden gehalten haben.«
Mein Griff lockert sich, und der Draht schneidet mir erneut in die Handfläche.
»Während der Grundausbildung lassen wir für gewöhnlich Briefe zu oder geben ein paar Informationen weiter«, sagt sie, noch immer über mich gebeugt. »Bei Verräterinnen machen wir das allerdings im Allgemeinen nicht.«
»Ja, mir ist bekannt, was ihr bei Verräterinnen macht«, sage ich.
»Dann weißt du ja auch schon, dass wir gnädig sein können«, gibt sie unschuldig zurück. Am liebsten würde ich ihr den Draht um den dünnen, bleichen Hals schnüren.
»Unglücklicherweise begingen deine Eltern Verrat, und natürlich war da ja auch noch das Schmuggelgut, das man in deinem Haus gefunden hat«, erklärt sie mir. »Deshalb wurden deine Eltern entfernt.«
»Das hat Cormac mir bereits erzählt«, erwidere ich. Obwohl ich es schon wusste, spüre ich heiße Tränen in den Augen. Ich habe nicht die Kraft, gegen sie anzukämpfen.
»Ich verstehe. Dann weißt du auch, dass deine Schwester neu verwoben wurde, weil sie noch minderjährig war. Und dass sie in Cypress lebt, wo man jedes Jahr die besten unserer Kandidatinnen findet. Da sie sehr wahrscheinlich ein ähnliches Talent aufweist wie du, wird sie uns in Zukunft womöglich nützlich sein. Wir behalten sie gut im Auge.«
»Amie hat kein Talent«, nuschle ich und hoffe inständig, dass ich recht behalte. »Ihr verschwendet eure Zeit.«
»Ganz und gar nicht«, versichert mir Maela, während sie sich eine Zigarette anzündet. »Wir müssen sie auch wegen dir im Auge behalten. Schließlich müssen wir dafür sorgen, dass der neueste Schatz der Gilde glücklich ist.«
»Ehrlich gesagt lässt mich das kalt. Ich habe sie kaum gekannt«, lüge ich. »Der Altersunterschied zwischen uns ist groß, und Amie legte immer großen Wert darauf, beliebt zu sein und auf allen Modewellen mitzuschwimmen.« Ich würde die Worte gern zurücknehmen, kaum dass ich sie ausgesprochen habe. Doch an Maelas gehobenen Augenbrauen erkenne ich, wie erfreut sie über diese Information ist.
»Dann ist sie also anders als du. Vielleicht hat sie ja das Zeug zu einer erfolgreichen
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