Cocoon, Band 01
Aufgabe konzentrierst, die ich dir stellen werde.«
»Hast du das mit Cormac abgesprochen?«
»Ich muss meine Trainingsmaßnahmen nicht von Cormac absegnen lassen«, erklärt sie mir und starrt zum Fenster hinaus.
»Loricel?«, frage ich. Ob sie dem wohl zugestimmt hat?
»Die interessiert sich nicht für uns«, antwortet Maela beiläufig. »Und in ihrem hohen Alter ist sie bereits seit Stunden im Bett.«
Ich nicke und gehe im Stillen all die Entgegnungen durch, die mir noch in den Sinn kommen. Letztlich beschließe ich zu schweigen.
»Weben ist eine heikle Arbeit«, schnurrt sie, und jetzt erst merke ich, wie still es in dem Raum ist, wenn der Webstuhl nicht rattert. »Das ist dir sehr wohl bewusst.«
Ich spüre, wie sich meine Kiefer verkrampfen. Ich habe Maela nie etwas anderes bewerkstelligen sehen, als Arras zu verstümmeln, und sie will mir Ratschläge erteilen?
»Du musst mit Präzision und Feingefühl an deine Aufgabe herangehen, ungeachtet dessen, was jenseits dieses Zimmers geschieht«, fährt sie fort. »Das nennen wir einen Belastungstest.«
Sie wendet sich um, schaut aber an mir vorbei, und ich folge ihrem Blick. Jetzt erst bemerke ich einen großen Eichenwebstuhl, der mit dicken Stahlsträngen bespannt ist. Von den modernen, voll automatisierten Webstühlen, an denen ich unterrichtet wurde, unterscheidet er sich stark. Er hat etwas ungeheuer Grobes an sich. Das Holz ist verformt und zerkratzt, und die dazugehörige kleine Bank besteht aus nichts weiter als einem unbehandelten Baumstumpf. Das wird wohl ziemlich unbequem.
»Wenn du behutsam bist, kannst du alles weben«, murmelt sie, während sie mir mit einer Handbewegung bedeutet, auf dem Baumstumpf Platz zu nehmen. »Wie sonst sollte eine Webjungfer die Zeit weben können? Sie besteht aus so feinem Material. Einst konnten wir die Zeit nicht beherrschen, sie glitt uns durch die Finger. Wir hatten keine Macht über den Tod, über Hunger und Krankheit. Und dann schenkte uns die Wissenschaft ein Webmuster. Doch wenn wir nicht vorsichtig sind, können wir die Macht, die wir jetzt besitzen, wieder verlieren.«
Ich habe genug von diesem herablassenden Getue. »Geht es hier um das, was zwischen Erik und mir vorgefallen ist?«
Maelas Nasenflügel beben, und sie weicht ein wenig vor mir zurück. »Diese Übung«, fährt sie fort, ohne auch nur im Geringsten auf meine Frage einzugehen, »wird dich das nötige Feingefühl und Selbstbeherrschung lehren.«
Sie beugt sich über den Webstuhl und zieht geschickt, aber sacht an einem der Stahlfäden. Als sie ihn loslässt, gibt er ein klirrendes Geräusch von sich. Dann nimmt sie einen dünnen, drahtigen Faden und flicht ihn elegant durch die aufgespannten Stahlstränge. Rein, raus, rein, raus. Bis sie aufschreit und sich, schmerzhaft zusammenzuckend, den Zeigefinger in den Mund steckt.
Normalerweise hätte ich sie gefragt, was los ist, aber da wir Feinde sind, erscheint mir das unangemessen. Deshalb warte ich, bis sie den Finger wieder hervorzieht. Blut quillt aus einem feinen Schnitt, und mit einem Mal wird mir klar, um was für eine Art von Prüfung es sich handelt.
»Diese Spule«, sagt sie, wobei sie mir eine große Metallrolle entgegenhält, »muss bis Mittag eingewoben werden.«
»Das ist alles?«, frage ich misstrauisch und zögere furchtsam, ihr den Faden abzunehmen. Das Licht spiegelt sich auf seinen Windungen.
»Das ist alles.« Sie lächelt verkniffen. »Bis Mittag, sonst wirst du versetzt.«
»Ich nehme an, dass die Minister meine Arbeit sehen wollen.«
Ihre Kiefermuskeln spannen sich unter der Haut, doch sie verliert nicht die Fassung. »Natürlich.«
»Natürlich«, pflichte ich ihr bei.
Sie verlässt das Zimmer, und ich berühre vorsichtig den Faden. Er ist rasiermesserscharf. Mit noch größerer Vorsicht berühre ich die Stahlstränge, die als Kettfäden aufgezogen sind. Sie sind fast völlig steif. Rasiermesserdraht und unbewegliche Kettfäden. Diesmal hat sie sich selbst übertroffen. Ich kann von Glück reden, wenn ich nach dieser Prüfung noch Finger habe.
Der erste Durchgang gelingt mir leicht und ohne mich zu schneiden. Dadurch werde ich übermütig. Beim nächsten Durchgang trenne ich mir die Kuppe des linken Zeigefingers ab. Tränen treten mir in die Augen, als das offene Fleisch mit der Luft in Berührung kommt. Das ist keine leichte Wunde, doch Maela würde jeden Vorwand ergreifen, um mich in die Küche oder zu noch schlimmerer Arbeit zu verbannen. Deshalb ziehe ich die
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