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Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Albin
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schäumenden Wellen, die über die zerklüfteten Felsen spülen, und die Berge, die sich rasch mit Schnee überziehen. »Deine Bildschirme sind verblüffend. Es kommt mir vor, als stünde ich auf dem Dach. Ich fühle mich frei.«
    »Adelice, wie hat dein Zuhause ausgesehen?«, fragt sie und mustert mich aufmerksam.
    Diese Wendung des Gesprächs verwirrt mich, doch ich erzähle ihr von unserem kleinen Vorstadtviertel bei Romen. Von der Vorzeigestraße, die mit kleinen Bungalows und Gärten gesäumt war. Und als ich Mr Figgins Apfelbaum auf der anderen Straßenseite beschreibe, wächst er auf der Wand vor mir in die Höhe. Erschrocken schnappe ich nach Luft und wirble heftig herum. Da erblicke ich hinter dem Webstuhl mein Zuhause.
    Es ist so nah. Als mir die erste Träne im Augenwinkel schwimmt, verwischt das Bild und verblasst zu einer pechschwarzen, sternenlosen Nacht.
    »So ist es besser«, sagt Loricel. »Wie du richtig erkannt hast, sind das nur Bildschirme, aber ich habe schon vor Jahren ein Ortungsprogramm eingebaut. Wenn du den Raum betrittst, zeigen die Leinwände den Ort, an dem du gern sein möchtest.«
    »Aber ich sah Berge und das Meer«, sage ich.
    »Das ist die Grundeinstellung«, erklärt sie. »Jeder, der hereinkommt, sieht das. Du musst den Ort beschreiben, um die Ansicht zu verändern. Das Programm kann genauso wenig Gedanken lesen wie wir. Es ähnelt stark dem Ortungsgerät, mit dem die Gilde ihre Bürger aufspürt.«
    »Cormac hat einmal eins benutzt, um mir meine Schwester zu zeigen«, erzähle ich ihr, aber es kommt mir wie ein Geständnis vor. Als gäbe ich ihr kein Wissen, sondern eine Schwäche preis.
    Sie lächelt und skizziert dann rasch einen einsamen Sonnenstrand. »Ich bevorzuge wärmeres Klima.«
    Nacheinander zwischen schneebedeckten Bergen, auf der Straße meiner Kindheit und neben einem kristallklaren Ozean zu stehen, ohne sich dabei vom Fleck zu rühren, ist verstörend. Deshalb lasse ich mich auf den geflochtenen Teppich neben dem Webstuhl nieder und versuche, meine Gedanken zu ordnen.
    »Was ist da draußen wirklich?«, frage ich schließlich.
    Loricel antwortet nicht. Sie stellt sich an das Ende der Bildschirmwand, doch sie wechselt das Programm nicht. Stattdessen öffnet sie vorsichtig eine Naht in dem Trugbild, und da erkenne ich, dass auch die Bilder an der Wand ein Teil des Gewebes sind. Ich frage mich, ob sie mir den Blick auf das Meer frei machen wird, das ich von meinem Zimmer aus sehe, oder gar auf einen Schneesturm, wie ich ihn eben erlebt habe. Doch niemals hätte ich erwartet, was der Blick durch den Spalt mir schließlich eröffnet. Zwischen den Fäden des Flechtwerkes leuchtet ein formloser Flor aus Licht und Farben.
    Was hinter den Bildschirmen an Loricels Atelierwand zum Vorschein kommt, hätte ich mir nicht ausgemalt. Obwohl ich das Gewebe bereits seit Jahren manipuliere, wird mir die Wahrheit erst jetzt klar. Das Material, das wir auf unseren Webstühlen aufrufen oder auch direkt bearbeiten, ist nur Fassade. Dahinter liegt noch eine weitere Schicht, die noch glanzvoller ist als die erste.
    »Nichts davon ist wirklich«, flüstre ich.
    »Das kommt darauf an, was du als wirklich definierst«, gibt Loricel zurück. »Ich kann den Boden berühren. Ich kann dich berühren. Zu den Essenszeiten kann ich Nahrung aufnehmen. Wieso sollte das nicht wirklich sein?«
    Ich kann ihr keine Antwort geben, denn sie hat recht. Das Kribbeln des Wassers, wenn ich in die Badewanne steige, das Versinken meines Kopfes in den Kissen, Josts Hände, die mein Gesicht streicheln. Wieso sollte das nicht wirklich sein? Doch jetzt, während ich hier stehe und zusehe, wie die ungeformte Materie ins Vergessen treibt, wird für mich nichts je wieder wirklich sein.
    »Das ist es also. Das ist die Wirklichkeit«, flüstre ich kaum hörbar.
    Loricel presst ihre Lippen zusammen, als wüsste sie nicht recht, wo sie beginnen soll. »Ja und nein. Dies ist unsere Wirklichkeit, aber nicht die Wirklichkeit im eigentlichen Sinn.«
    »Das verstehe ich nicht«, gebe ich zu.
    »Die Gilde möchte nicht, dass wir es verstehen, aber wenn du das hier einmal übernehmen sollst, dann musst du wissen, worum es geht.« Sie deutet auf den herrlichen Arbeitsplatz.
    Doch ich kann den Blick nicht von der offenen Naht losreißen. Meine Hände zucken. Ich möchte es berühren. Dann verschließt Loricel die Öffnung und führt mich zu einem kleinen Sofa.
    »Wir erschaffen alles? «, frage ich.
    »Wir erschaffen Arras«, sagt

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