Cocoon, Band 01
jetzt das Messgerät auf. Es scannt die verschiedenen Bereiche deines Gehirns. Während des Vorgangs stelle ich dir Fragen, damit das Gerät ablesen kann, wie dein Gehirn die Antworten erstellt.«
»Haben Sie nicht eben gesagt, dass ich schlafen könnte?«, frage ich quiekend.
»Das kannst du auch«, versichert er mir. »Soeben verabreichen wir dir ein mentales Reizmittel, das es dir erlaubt, selbst im bewusstlosen Zustand Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten.«
Ich will mir die Nadel aus dem Arm reißen. Ich habe nicht vor, zu schlafen, während man mich ausfragt!
»Ich werde nebenan sitzen und dich beobachten. Du hörst mich durch diesen Komhörer«, erklärt er, während er einen kleinen, schwarzen Knopf an meinem rechten Ohr festmacht. »Schwester Renni, können wir den Kartografen anpassen?«
Sie nickt und gibt einen Code in die Komkonsole ein. Über mir öffnet sich die Zimmerdecke, und in dem klaffenden Spalt gehen zwei Scheinwerfer an. Geblendet und blinzelnd beobachte ich, wie der Kartograf herabschwebt. Er hat die Form einer großen Haube, doch als er näher kommt, bemerke ich, dass es kein massiver Körper ist. Stattdessen besteht er aus einer großen Anzahl von Zahnrädchen, die derart fein aufeinander abgestimmt sind, dass sie ineinanderzufließen scheinen. Mein Blick wandert zu dem Arzt, der eben durch die Tür zum Beobachtungszimmer schlüpft, dann zu der Schwester, die das Messgerät an meinem Handgelenk überprüft. Während der Kartograf über meinen Kopf gleitet, versuche ich herauszufinden, wie er funktioniert. Doch da trifft mich ein grüner Lichtstrahl, der mich vollständig blendet.
»Das ist normal«, erklärt die Schwester neben mir leise, während sie an dem Gerät herumfummelt. »Nach der Untersuchung kannst du wieder sehen.«
Ich bäume mich auf und versuche, mich von der Haube zu befreien.
»Atme tief durch, Adelice, oder ich muss dir Valpron verabreichen«, warnt sie mich.
So bin ich gezwungen, mich in der Finsternis zurückzulehnen. Meine Arme und Beine kribbeln vor Kälte in dem sterilen Zimmer. Ohne Augenlicht fühle ich mich gefangen und gelähmt, wie eine Fliege in einem Spinnennetz.
»Adelice«, klingt mir die Stimme des Arztes im Ohr. »Wir fangen nun mit der Untersuchung an.«
Ich hole würgend Luft und lasse sie langsam wieder entweichen.
»Adelice, wo bist du geboren?«
»Romen, im westlichen Sektor.«
»Gut. Antworte bitte immer genau so«, sagt er. »Wie hießen deine Eltern?«
Ich hole erneut Luft und sage: »Benn und Meria Lewys.«
»Der Beruf deines Vaters?«
»Er war Mechaniker. Er war bei der Motoflotte der Gilde in Romen beschäftigt.«
»Und deine Mutter?«
»Sie war Sekretärin.«
»Wie heißt deine Schwester?«
»Amie«, flüstre ich. Jedes Mal, wenn ich ihren Namen ausspreche, sehe ich die kleinen Locken hinter ihren Ohren.
»Bitte wiederhole das.«
»Amie«, sage ich etwas bestimmter.
»Leben deine Eltern noch?«
Ich schnappe nach Luft und atme mit der Antwort aus. »Nein«, lüge ich.
»Adelice, hast du die Reinheitsvorschriften vor deiner Prüfung eingehalten?«
»Was soll denn diese Frage?«, will ich wissen, während meine Hände sich zu Fäusten ballen.
»Bitte beantworte die Frage.«
»Ja«, sage ich. »Ich habe die Reinheitsvorschriften eingehalten.«
Als hätte ich eine andere Wahl gehabt. Die Bezirke der Mädchen und die der Jungen liegen jeweils am anderen Ende der Metro, und in die geht man ohnehin nur in Begleitung der Eltern, während der zulässigen Ausgehstunden. Allerdings war es nicht immer so. Meine Großmutter hat mir Geschichten darüber zugeraunt, wie sehr sich die Zeiten geändert hätten, seit sie ein Mädchen gewesen war. An meinem vierzehnten Geburtstag, einen Monat vor ihrer Entfernung, habe ich sie nach den Heiratsprofilen im Bulletin gefragt. An der Akademie brachten die Mädchen sie mit, versteckten sie unter ihren Schulbänken, ließen sie herumgehen und kicherten über die Bilder der Jungs.
»Warum sind im Bulletin Heiratsprofile?«, fragte ich sie. »Dürfen sich Mädchen und Jungs nicht persönlich in der Metro treffen, wenn sie sechzehn sind?«
Meine Großmutter hatte tiefbraune Augen, die sie nun auf mich richtete und mich gründlich musterte, bevor sie antwortete. »Heutzutage ist es für Mädchen und Jungs nicht mehr so einfach, sich zu treffen. Die Eltern wollen das Risiko nicht eingehen, und den jungen Leuten fehlen oft die Worte, wenn sie sich zum ersten Mal begegnen. Das freilich« –
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