Code Delta
Kampf, fürs Überleben und Spionieren ausgebildet, aber nichts davon hatte ihn auf diese emotionalen Turbulenzen vorbereitet, die ihn allmählich überforderten. Seine angeblich tote Mutter war wiederauferstanden, sein verschollener Vater aus dem Gefängnis zurückgekehrt. Dann die Erkenntnis, dass seine Eltern in Wirklichkeit russische Spione gewesen waren. Und jetzt die Entführung eines Mädchens, das ihn Dad nannte, obwohl er nie Vater werden wollte und bei ihrem Schutz kläglich versagt hatte.
Was waren dagegen schon gigantische Killergolems?
Erinnerungsfetzen an Fiona blitzten in lebhaften Bildern vor ihm auf. Ihr anfängliches Misstrauen, als er sie in der Siletz Reservation auf dem Rücksitz seines Wagens gefunden hatte. Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft an den Anschlag und an einen Mann, der sie aus den Trümmern gezogen hatte. Dann war King aufgetaucht. Unsicher lächelnd, weil er mit Kindern nie gut hatte umgehen können. Seine ersten, unbeholfenen Worte – »Es ist ein Mädchen« – brachten sie zum Lachen. Er wusste nicht, warum er das gesagt hatte. Es war ihm einfach so herausgerutscht, als wäre sie gerade zur Welt gekommen.
In den darauffolgenden Monaten, während Fiona unter dem Schutz des Teams auf dem Stützpunkt lebte, war ihre Beziehung rasch enger geworden. Sie brachte die Gesichter der Menschen zum Lächeln, die gezwungen waren, sich mit den übelsten Gestalten der Welt auseinanderzusetzen. Ihre Anwesenheit war ein Segen für das Team.
Nur das Jugendamt hatte Unruhe in das bunte Völkchen gebracht. King war der Job des Pflegevaters zugefallen wie ein Klavier aus dem zwanzigsten Stock. Seine Studien litten unter den ungewohnten elterlichen Pflichten. Die Sparringskämpfe im Training entwickelten sich zu schmerzhaften Erinnerungen an seine eigene Unzulänglichkeit. King hatte die Verantwortung nie gewollt, sondern nur aus Pflichtgefühl auf sich genommen.
Beinahe überrascht stellte er daher jetzt fest, dass er Todesängste um das Mädchen litt. Inzwischen war er völlig vernarrt in Fiona. Auch wenn sie seine Karriereplanung gründlich durcheinandergebracht hatte – er hatte Angst, das Mädchen für immer zu verlieren, das aufzuziehen er eigentlich kein Recht besaß.
Er sah auf die Uhr. Die Missionen der anderen sollten mittlerweile abgeschlossen sein. Er holte sein Handy heraus, das er während der nächtlichen Suche auf dem Forum Romanum ausgeschaltet hatte, und fand acht neue Nachrichten vor. Das war ungewöhnlich, da überhaupt nur sieben Menschen auf der Welt seine Nummer kannten. Er ignorierte die Nachrichten und rief die Person an, von der er Antwort auf alle Fragen bekommen würde.
Es klickte im Hörer, während die Verbindung zustande kam. Nach einem einzigen Klingeln bat ihn eine Frauenstimme vom Band, eine Nachricht zu hinterlassen. Er nannte seinen Namen. »King.«
Die weibliche Stimme fuhr fort mit »Stimmerkennung bestätigt«, dann begann das Telefon wieder zu läuten.
Nach kurzer Zeit meldete sich Tom Duncan, Deep Blue. »King, wo waren Sie?«
King hörte die Anspannung in Duncans Stimme. Die Dinge an der Heimatfront standen also nicht gut. »Rom. Jetzt bin ich auf dem Weg nach Haifa, zusammen mit Alexander Diotrephes.«
Duncan klang sofort lebhafter. »Sie haben Fiona gefunden?«
»Sie war hier, aber … ich habe sie wieder verloren. Alexander versteckte sie und fünfzig weitere Personen unter dem Forum Romanum, alles Sprecher aussterbender Sprachen. Bis auf Fiona sind alle tot.«
King hörte einen unterdrückten Fluch, bevor Duncan weitersprach. »Was wollen Sie in Haifa?«
»Einen Physiker-Schrägstrich-Rabbi treffen, von dem Alexander glaubt, er könne helfen.«
»Und was meinen Sie dazu?«
»Mal sehen«, erwiderte King. »Wie sieht es bei Ihnen aus? Sind die anderen schon zurück?«
»Knight, Queen und Bishop befinden sich auf dem Rückflug. Innerhalb von vier Stunden sollten sie wieder einsatzbereit sein.«
King merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. »Was ist mit Rook?«
Duncan seufzte. »Die Regierungen der Länder, in die wir sie geschickt haben, waren vorgewarnt. Unsere Teams wurden bereits erwartet.«
King zuckte zusammen. Rooks Ziel war Russland gewesen.
»Queen und Bishop sind mit ihren Leuten unversehrt entkommen. Knight musste drei Verluste hinnehmen. Und Rook … sein Team ist tot, er selbst wird vermisst und ist … möglicherweise gefallen.«
Gefallen. Das war das Wort, das King am meisten fürchtete. Widerstreitende Emotionen
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