Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
Vom Netzwerk:
wurden die Reisenden zwar kontrolliert, aber eine junge, attraktive Frau wie sie schien schon vom äußeren Erscheinungsbild her über jeden Verdacht erhaben zu sein. Französische Gendarmen würden eher auf ihren Busen und auf ihre Beine achten als auf einen Ausweis, und falls den ihren doch mal ein Polizist nachprüfen sollte – auch kein Problem. Der war echt. In dem stand Nancy Fiocca, wohnhaft Marseille, 5 Rue Edouard Stephan.
    Madame Fiocca alias Nancy Wake wurde Kurierin in der Résistance. Die Begegnung mit dem Mann in der Bar veränderte in der Tat und durch Taten ihr Leben. Sie gehörte von nun an zum Netzwerk O’Leary, fuhr in dessen Auftrag durch die Provence, wo sie sich auskannte, weil Nancy Wake dort als junge Journalistin unterwegs gewesen war auf der Suche nach guten Storys für Hearsts Zeitungen. Sie traf sich mit Agenten auf Bahnhöfen oder in Cafés, übergab denen Nachrichten, nahm Nachrichten mit zurück nach Marseille.
    Garrow lebte sieben Monate versteckt in Rodocanachis Wohnung. Ans Fenster ging er nur nachts, löschte zuvor das Licht im Zimmer, um nicht von Nachbarn gegenüber entdeckt zu werden. Er stand zwar auf der Liste flüchtiger Engländer, nach denen das Vichy-Regime suchen ließ. Wie intensiv gefahndet wurde, hing aber von den jeweils eingesetzten Gendarmen ab. Manche schauten einfach in die andere Richtung, falls ihnen ein Verdächtiger begegnete. Manche schauten genauer hin, aber nur, um vor Razzien ihrer Kollegen zu warnen. Die große Mehrheit der Polizisten unterstützte die Politik Pétains. Sein Prinzip »Arbeit, Familie, Vaterland« traf ganz allgemein die Sehnsucht der Franzosen nach Ordnung und Ruhe und Sicherheit, stand im neuen Staatswappen, der Doppelstreitaxt Francisque, hatte die stolze Tradition Frankreichs abgelöst, seit 1789 für alle unterdrückten Völker eine Verheißung: »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«. Die ließ Pétain von allen öffentlichen Gebäuden entfernen und durch »Travail, Famille, Patrie« ersetzen.
    Die Moral der Herrschenden entsprach den herrschenden Moralvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft, egal, ob in der besetzten oder in der unbesetzten Zone. Ein autoritäres Regime war ihr allemal lieber als eine demokratische Staatsform. Die aus freien Wahlen entstandene Volksfront der Dritten Republik ist den Konservativen stets zuwider gewesen. Sie hatten die verhassten Linken mit allen Mitteln bekämpft, und nach der Kriegsniederlage, die sie umgehend auf der Suche nach Schuldigen den früheren Regierungen zur Last legten, fanden sie sich bestens vertreten im reaktionären Weltbild von Pétain und Co. »In der Gefolgschaft hat jeder seinen Platz an der Seite eines Führers, welcher durch seine Arbeit und Besorgtheit die Achtung und Ergebenheit seiner Mitarbeiter verdient. Wir werden sie hochhalten«, hieß es in einem Leitartikel der Tageszeitung Petit Marseillais , deren Auflage 350 0 00 betrug, also als Stimme des Volkes gelten konnte. Nach der Befreiung übrigens wurde sie, weil sie nicht mehr zum herrschenden Zeitgeist passte, über Nacht eingestellt.
    Was die nüchternen Deutschen in Wahrheit von Pétain und seinem Regime hielten, stand in den Berichten der Abwehr. Er schlafe meist, wirke abwesend wie einst Hindenburg in den Monaten vor seinem Tod. Habe aber den Ausschank von Champagner verboten, weil es schon beim Mittagstisch am Regierungssitz in Vichy regelmäßig zu Trinkgelagen gekommen sei.
    Bald ist Nancy Fiocca gelangweilt von einfachen Kurierdiensten. Da passierte weniger Aufregendes als das, was sie in aufregenden Friedenszeiten in ihrem ersten Leben erlebt hatte. Sie gehörte zwar zu einem geheimen Netzwerk, aber ihre Tarnung als schöne Gattin eines reichen Schrotthändlers auf Ausflügen in der Provinz war so perfekt, dass bei ihrem Anblick niemand auf andere Gedanken kam und sie etwa verdächtigte. Die Nazis waren zwar präsent als dunkle Wolken am Horizont, aber noch hatte die Gestapo im unbesetzten Frankreich des Südens keinen direkten Zugriff auf flüchtige Briten oder deutsche Emigranten.
    Deshalb will sie gefährlichere Aufträge, will richtige Abenteuer. Darüber redet sie mit Garrow und O’Leary. Beide zögern. Sie ist doch eine Frau, und der eigentliche Kampf im Untergrund sei was für Männer. Dass Nancy Fiocca kämpfen konnte wie fünf Männer, sobald es darauf ankam, immer dann, wenn ihre Wut so groß war wie ihr Mut, erfuhren erst die Männer in ihrem nächsten Leben.
    Zur sogenannten Pat Line

Weitere Kostenlose Bücher