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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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auf dem Parkett zu benehmen, verteilten großzügig Trinkgelder an dienernde Kellner oder die Concierges der Häuser, die sie okkupierten, verschafften zudem der Industrie Aufträge in Milliardenhöhe. Renault zum Beispiel verfünffachte während der Besatzungszeit seinen Gewinn. Bis zum Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion am 22 . Juni 1941 hielten sich sogar die französischen Kommunisten zurück und an den Nichtangriffspakt mit ihrem natürlichen Todfeind, den Nazis. Danach organisierten hauptsächlich sie den Widerstand. Im Untergrund besaßen sie aufgrund ihrer Geschichte die größte Erfahrung.
    Zur schlagkräftigen Schattenarmee des Widerstands aber wuchs jenseits der Städte in der Provinz eine andere Pflanze heran, die in südlichen Mittelmeerländern und auf Korsika die Landschaft prägt: ein knorriger, struppiger, wilder Strauch namens Maquis. Der Name passte. Denn im Maquis hatten sich traditionell die Gesetzlosen oder die Gesetzesbrecher vor ihren Häschern versteckt. Weil nach dem Fehlschlag des freiwilligen relève die Besatzer Zwangsarbeit in Deutschland zur Pflicht für alle Männer zwischen 18 und 50 , alle Frauen zwischen 21 und 35 Jahren machten, flohen dann viele aus diesen Altersgruppen, Männer wie Frauen, in die Wälder und schlossen sich dem Maquis an. Man schätzt, dass es letztendlich 200 0 00 waren, die sich dem Service du Travail Obligatoire ( STO ) entzogen. Sie verbargen sich, ausgerüstet zunächst nur mit Jagdgewehren, Schrotflinten oder Knüppeln, vor dem Zugriff der Gendarmerie oder der SS . Als sie per Luftbrücke aus England mit den notwendigen und gegen die der Deutschen nötigen Waffen versorgt wurden, begannen sie aus dem Dickicht der Wälder heraus ihren Kampf zur Befreiung Frankreichs. Stadt und Land ergänzten sich dann im Widerstand. Eine andere nationale Revolution als die, von der Pétain schwärmte.
    Georges Rodocanachi betrieb Sabotage auf seine Art und in einer ihm entsprechenden Weise. Er benutzte die Waffen seines Verstandes, seines Geistes und die Möglichkeiten, die ihm sein Beruf als Arzt bot. In den beiden vorderen Räumen der großen Wohnung betrieb er seine Praxis. Eine perfekte Tarnung, weil da täglich viele Menschen ein und aus gingen. Ob die wirklich krank waren oder auf der Suche nach einem Versteck, war ihnen ja nicht anzusehen. Das konnte nur der Herr Doktor entscheiden, dessen Sprechstundenhilfen ebenfalls zur Résistance gehörten. Die unter den wartenden Marseillern sitzenden Briten, schweigend den Kopf gesenkt, um nicht in einer Sprache angesprochen zu werden, die ihnen fremd war, hatten einen einzigen Satz auf Französisch zu verstehen gelernt. Sobald der fiel, standen sie schnell vor allen anderen Patienten auf und gingen in die Praxis des Arztes: »Au suivant, s’il vous plaît«, der Nächste bitte.
    In einem Hinterzimmer am Ende des Flurs wurden anschließend diese besonderen Patienten untergebracht. Ab Januar 1941 , nach der Flucht auf dem Bahnhof, war Captain Ian Garrow ein solcher Notfall. Die nötigen Kontakte nach draußen, die Garrow zum Aufbau einer Fluchtorganisation brauchte, hatte Georges Rodocanachi. Er kannte sich im Kreis der Emigranten aus, weil der Arzt in einer Kommission saß, die entscheiden sollte, wer trotz gültigen Visums auch gesundheitlich in einem Zustand war, dass die lange Überfahrt in die Vereinigten Staaten kein Risiko darstellte. Er stellte großzügig die nötigen Atteste aus. Nur ein paar wenige Schiffe lagen im Hafen noch zur Ausreise bereit. Wer gesund war, aber kein Visum bekommen hatte, tauchte ab in den Untergrund, statt darauf zu hoffen, von Pétains Gendarmen nicht deportiert zu werden.
    Elisabeth Haden-Guest, geboren als Louise Ruth Wolpert in Königsberg, Jüdin und Ex-Mitglied der Kommunistischen Partei, wo sie zur Gruppe um Walter Ulbricht in Berlin gehörte, verheiratet mit dem Diplomaten Peter Haden-Guest, der in New York auf sie wartete, war im Norden unter dem Verdacht festgesetzt worden, Flugblätter verteilt zu haben. Ihre Papiere bewiesen, dass sie amerikanische Staatsbürgerin war, also wurde sie – noch – anders behandelt als die übrigen Gefangenen. Nicht so streng bewacht. Was sie ausnutzte. Mit ihrem zweijährigen Sohn brach sie aus einem Internierungslager in der Nähe von Paris aus. Danach hatte sie sich über die Demarkationslinie, die sie allerdings mit ihrem Kind mangels gültiger Ausweise nicht offiziell überqueren konnte, sondern unterm Zaun hindurchkriechend bewältigen

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