Codename Hélène
an eine gemeinsame Zukunft. Natürlich unter deutscher Regie. Oberg zum Beispiel war mit einer Französin verheiratet, und selbstverständlich sprach er Französisch, und selbstverständlich behandelte er seine französischen Pétain-Nachbarn als gleichberechtigte Vertreter der arischen Rasse.
Ein frankophiler Besatzer in Uniform, im Zivilleben Komponist und leidenschaftlicher Bewunderer der französischen Kultur, ist die Hauptperson in der bis heute berühmten Novelle Le Silence de la Mer von Vercors. Unter diesem Pseudonym, das sich beruft auf ein geschichtsträchtiges Gebirgsmassiv in Frankreich, hat Jean Bruller das Buch verfasst. Gedruckt wurde es im Untergrund, dann von Frauen, die sich angeblich zum Stricken und Backen trafen, anschließend gebunden und verteilt. Der Offizier, der in der Erzählung das Schweigen derer zu durchbrechen versucht, bei denen er einquartiert ist, schwärmt von der künftigen Kooperation zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich, sobald endlich dieser Krieg vorbei sein würde. Die Kultur, von Bach bis Bizet, von Goethe bis Voltaire, werde die Völker versöhnen. Aber die damals lebenden Deutschen kannten in Wirklichkeit nur eine Kultur – die Kunst zu töten. Die Franzosen reden mit dem gebildeten Boche kein einziges Wort.
Vielleicht sei es unmenschlich, fragt an einer Stelle der Onkel seine den Offizier totschweigende Nichte, ihm das Almosen eines einzigen Wortes zu verwehren. Sie schweigt. Das ist ihre Form des Widerstandes. Genauso wird die Botschaft von Silence de la Mer auch von allen verstanden, die es lesen. Wer schweigt, macht sich zumindest nicht schuldig durch Worte. André Malraux zum Beispiel, einer der großen Dichter Frankreichs, hatte einen Schwur abgelegt, erst dann wieder eine Zeile zu schreiben, wenn Frankreich befreit sein werde. Am Schluss des Buches, als der Deutsche begreift, was die Nazis, seine Landsleute, tatsächlich planen, und sich verzweifelt an die Ostfront meldet, wo »das Korn künftig auf Leichen wachsen wird«, sagt die Nichte ein einziges Wort, das Wort »Adieu«. Silence de la Mer war eines von 21 Büchern, das im Untergrund in den Editions de Minuit gedruckt und heimlich verteilt wurde während der Besatzung. Der Autor Vercors, der zu den Gründern der Editions gehörte, begründete nach der Befreiung, warum Schweigen eine wirksame Waffe sein kann – weil zu viele französische Dichter mit ihren Wörtern kollaborierten, mussten sie durch das Schweigen der anderen bekämpft werden.
In Paris dagegen spielte man das Lied von der neutralen Himmelsmacht namens Kultur. Ob nun Herbert von Karajan im besetzten Paris dirigierte oder eine Ausstellung von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker in der Orangerie als Staatsakt von der Vichy-Regierung zelebriert wurde, ob in den literarischen Salons des konservativen katholischen Poeten Marcel Jouhandeau der berühmte Jean Cocteau auftrat, ob Maurice Chevalier hier sang oder vor französischen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern, womit die Besatzer Menschlichkeit vortäuschten, ob im hetzerischen Kampfblatt Combats der Milice (nicht zu verwechseln mit dem mutigen Untergrundblatt Combat der Résistance), der ideologischen Schwester des Nazi-Organs Stürmer , die Faschisten Pierre Drieu La Rochelle und Robert Brasillach schrieben. Man konnte entweder widerstehen oder mitmachen, sagte Sartre nach der Befreiung, Im Gegensatz zu anderen hielt er Schweigen nicht für eine Option, nicht für den dritten Weg.
In der deutschen Botschaft oder im Hôtel Majestic oder dem Le Meurice trafen sich gebildete Besatzer wie der Hauptmann Ernst Jünger mit gebildeten Besetzten wie dem Poeten Louis-Ferdinand Céline zu Galadiners und Bällen. Bei Auftritten des Ballettstars Serge Lifar von der Pariser Oper klatschten Deutsche und Franzosen gemeinsam begeistert. Jüdische Künstler waren selbstverständlich nicht erwünscht. Darüber war man sich in diesen Kreisen einig. Französische Antisemiten hatten keinerlei Schwierigkeiten, sich mit den deutschen zu verständigen. Die teilten nicht nur ihre Ideologie, sondern sprachen auch ihre Sprache. Was anfangs zur Strategie der Kooperation der Deutschen gehörte. In Polen wüteten sie bereits wie die »Hunnen«. In Frankreich gaben sie sich noch als anständige Europäer, führten sich auf und vor in den Cafés und Restaurants wie Touristen.
Im Sarah-Bernhardt-Theater, das jetzt Théâtre de la Cité hieß, weil die berühmte Schauspielerin, der zu Ehren es benannt war, Jüdin
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