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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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Maschinen wurden getroffen von der Flak und stürzten ab.
    Zwar vermutet die ungeduldige Kantinenhilfe, dass Ian Garrow dahintersteckt, als sie Ende September 1943 für ein berufliches Fortbildungsgespräch in ein Hotel in der Northumberland Avenue bestellt wird. Und Nancy Fiocca kann sich auch vorstellen, dass es nicht um eine Beförderung zur Köchin gehen wird. Sonst wäre sie für das Treffen, laut Anweisung pünktlich um zwölf Uhr an einem Dienstag, nicht in ein großes, aber schäbiges 500 -Zimmer-Hotel gebeten worden, sondern in eines der offiziellen Dienstgebäude von FANY . Es riecht irgendwie nach Abenteuer, ein Geruch, den sie grundsätzlich zwar mag. Doch von Pat O’Leary hatte sie die wichtigsten Überlebensregeln im Untergrund gelernt: Trau erstens keinem, und vermute zweitens hinter jedem Treffpunkt eine mögliche Falle. Der Putzfrau, die einmal pro Woche bei ihr aufräumt, hinterlegt sie deshalb deutlich sichtbar auf dem Küchentisch eine Nachricht mit der Adresse, zu der sie sich aufmachen wird, und ein paar erklärende Zeilen, wer zu unterrichten sei, falls sie in den nächsten fünf Tagen nicht mehr auftauchen sollte.
    So erzählte sie es später Claire Wrench, einer militärischen Ausbilderin von SOE . Die erwähnte es ausdrücklich in den Akten, weil sie beeindruckt war, wie vorsichtig und überlegt die junge Frau sich verhalten hatte. Offensichtlich wägte die vor allen Entscheidungen erst einmal die möglichen Optionen und Gefahren ab und ging dabei stets vom worst case aus. Für künftige Agenten eine wesentliche Eigenschaft, notierte sie.
    Die durchschnittliche Überlebensdauer eines Agenten im Einsatz hatten Militärstatistiker mit drei Monaten beziffert. Das wussten die jeweiligen Chefs. Im Falle der Sektion F von SOE am Dorset Square also Colonel Maurice Buckmaster und seine Assistentin, Commander Vera Atkins. Sie wurde zeitlebens von allen Überlebenden als die eigentliche »Seele« von SOE gerühmt, sie gehört zu den legendären Figuren der Organisation. Nicht nur, weil sie es war, die straff das Innenleben von SOE managte, sondern weil sie nach dem Krieg unerbittlich jene Deutschen suchte und jagte und verhörte, die so viele ihrer Agentinnen ermordet hatten. Vera Atkins betreute sie bis zu dem Moment, in dem die nachts in ein Flugzeug Richtung Frankreich kletterten, und keine von denen, die nicht mehr zurückkehrten, hat sie je vergessen. Ihre Mörder, falls möglich, einem irdischen Gericht zu überstellen, statt auf Gottes Strafe am Jüngsten zu vertrauen, war ihr letzter Dienst an den tapferen Frauen.
    Nie vergaß sie jenen Sonntag im Juni 1944 , als sie zusammen mit Maurice Buckmaster im Büro auf den Funkspruch einer Agentin aus Frankreich wartete, von der sie viel zu lange schon nichts gehört hatten. Was aber eintraf, war ein Telegramm mit der Nachricht, dass in Oradour 642 Menschen von der SS bei lebendigem Leib verbrannt worden waren, darunter 190 Schulkinder. Beide konnten nicht glauben, dass die Deutschen so etwas Furchtbares hatten tun können – »could not believe the Germans woud do anything so awful as that« . Das ganze Ausmaß des Verbrechens, das die Deutschen begingen, Vernichtung von Millionen Frauen, Kindern, Männern in den Konzentrationslagern, kannten sie da noch nicht.
    Das Gespräch, zu dem Nancy Fiocca in Zimmer 321 im dritten Stock des Victoria Hotel in der Northumberland Avenue gebeten wurde, ist das erste einer Reihe ähnlich intensiver Interviews, in denen sie auf Verwendungsfähigkeit für die französische Sektion von Special Operations Executive geprüft wird. Worum es in Wahrheit bei dem Termin ging, durchschaute sie nach wenigen Minuten. Es war trotz der schäbigen Einrichtung des verschmutzten Raums – eine aufgebockte Tischplatte, zwei wacklige alte Stühle, eine hässliche Lampe, ein abgeschabter Teppich – quasi ein Examen unter vier Augen. Instinktiv machte sie alles richtig, als sie über die einzelnen Stationen in ihrem Leben Auskunft gab: Sie blieb bei der Wahrheit. Die scheinbar beiläufigen Versuche ihres Gegenübers, im überraschenden Wechsel zwischen Französisch und Englisch festzustellen, ob sie denn wirklich fit war in der ihr eigentlich fremden Sprache, empfand sie als lächerlichen Test und brachte das auch zweisprachig laut zum Ausdruck. Ihr Französisch war perfekt bis auf jenen kaum hörbaren Akzent.
    Der Mann in Zimmer 321 hieß Selwyn Jelsop, Talentscout im Auftrag von SOE und in dieser Funktion eine Art von Vorjuror

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