Codename Hélène
»Traditionsarmee«: Es gibt sie seit 1907 , gegründet einst als eine wohltätige Vereinigung von Charity Ladies der Oberklasse, inzwischen aber im vierten Kriegsjahr den Umständen entsprechend eine klassenlose Gesellschaft. Schon im Großen Krieg zwischen 1914 und 1918 , aber insbesondere jetzt im Zweiten Weltkrieg war von Männern immer nach besonderen Begabungen für besondere Aufgaben unter den Ladys gesucht worden: Frauen für die Heimatfront, eingesetzt beispielsweise bei Einsätzen der Feuerwehr nach nächtlichen Angriffen der Deutschen.
Oder als Funkerinnen und Sekretärinnen im Schichtdienst in militärischen Lagezentren, wo sie die tagsüber übermittelten Meldungen der Agenten aus den besetzten Ländern notierten und die Antworten codierten, versendet regelmäßig zwischen 21 Uhr und Mitternacht. Sie mussten peinlich genau auf jedes noch so kleine Wort achten, weil es regelmäßig passierte, dass sich die Funker nachts im Feindesland beim Verfassen ihrer Nachrichten vertippten. Die hatten schließlich selten genug Zeit für ihre Funksprüche und fürchteten stets, entdeckt zu werden durch die Peilpatrouillen der Deutschen. Es ließ sich manchmal nicht vermeiden – weil es komplizierte Codes waren und Nachrichten –, dass wireless telegraphs (W/T) länger dauerten, wodurch die Gefahr, geortet und verhaftet zu werden, natürlich stieg.
Nicht verwunderlich also, dass intern bei SOE die Überlebenszeit für Funker auf durchschnittlich sechs Wochen berechnet worden war und stets dringender Bedarf an Rekruten für diese spezielle Aufgabe bestand. »Remember the enemy is listening« – Feind hört mit –, stand als stetige Mahnung groß an der Wand. Anfangs geschah es auch, dass »Empfangskomitees« vor Ort, wie sie untereinander die in Frankreich wartenden Widerstandskämpfer nannten, entweder die Codewörter nicht verstanden oder sie vergessen hatten. Sprachbarrieren fielen, als immer mehr britische Mitstreiter die Résistance verstärkten und die Aktionen vor Ort koordinierten.
Keine Zeit zu verlieren bei Aufnahme und Rückmeldung konnte für die Agenten draußen im Feld den Unterschied ausmachen zwischen Leben und Tod. Wer in Frankreich oder Griechenland oder Belgien oder Holland mit einem Funkgerät erwischt wurde, war dem Tod geweiht. Hitlers berüchtigter Befehl, dass in Zukunft alle Saboteure »auszulöschen« seien, ganz egal, welche Uniform sie trugen, hielt das Oberkommando der Wehrmacht zwar unter Verschluss, weil es Gegenmaßnahmen der Alliierten befürchtete, falls die davon erfuhren. Aber die überzeugten Nazis befolgten ihn in tödlichem Gehorsam.
Dass die Führung von FANY selbst auch auf Talente für eine mögliche Verwendung im Geheimdienst achten musste, ist in solchen Zeiten verständlich und selbstverständlich keiner Rede wert. Frauen von FANY trugen Uniform. Es gab wie in der Armee auch unterschiedliche Dienstgrade. Die wurden anders bezeichnet als die beim Militär gebräuchlichen, entsprachen jedoch in etwa der Rangordnung dort. Nancy Wake war, auf Empfehlung ihres Vorgesetzten, am Ende ihrer SOE -Karriere eine Ensign , was etwa dem Rang eines Fähnrichs oder Unterleutnants entsprach: »Dear Wake, I am appointing you to the rank of Ensign temporary war rank and I am very pleased to give you this promotion on the recommendation of the Officer commanding your Unit.« Im Gegensatz zu Angehörigen der regulären Armee waren die uniformierten FANY -Frauen nicht bewaffnet, und niemand wäre je auf die Idee gekommen, sie an die Fronten auf dem Kontinent zu schicken. Im Schattenkrieg des Untergrunds allerdings kämpften sie längst schon gemeinsam mit Männern, Seite an Seite. Nicht in Uniform, sondern in Zivil. Nicht mit Worten, sondern mit Taten. Nicht mit den Waffen einer Frau, sondern mit scharf geladenen.
Nancy Fiocca meldet sich bei der weiblichen Freiwilligenarmee und wird in den Combined Operation Headquarters eingesetzt, Horseguards Whitehall SW 1 , wo gemeinsame Operationen von Armee, Marine, Luftwaffe zu Land, zu Wasser, in der Luft, aber auch geheime Kommandounternehmen hinter den feindlichen Linien koordiniert wurden. Hilfskraft in der Kantine ist allerdings nicht gerade das, was sie sich unter einem Einsatz vorgestellt hat. Da sie auf Henri wartet, vertreibt es ihr zwar die Langeweile, doch verdammt eintönig sei es bei FANY schon, klagt sie beim abendlichen Whisky mit Ian. Der kennt ihre ungezähmte und nach wie vor unzähmbare Lust auf Abenteuer. Sie hatte sich ja
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