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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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für die Geheimen. Er sollte beurteilen, ob Bewerber grundsätzlich infrage kämen für das, was von ihnen verlangt werden musste. Die üblichen militärischen Kriterien der Beurteilung reichten bei den Amateuren nicht aus, im Schattenkrieg brauchte es spezielle Eigenschaften. Profis benötigte SOE für militärische Kommandounternehmen in den besetzten Gebieten, denn für Einsätze dieser Art waren die Militärs schließlich bestens ausgebildet worden. Falls sie in Gefangenschaft geraten sollten, würden sie zudem durch die Genfer Konvention geschützt. Zumindest theoretisch, denn daran hielten sich die Deutschen oft nicht. Sondern erschossen gnadenlos Gefangene, deren Uniform sie eigentlich vor einem Genickschuss bewahren sollte, so zum Beispiel die SS in den letzten Wochen des Krieges 87 US -Soldaten, die sich längst ergeben hatten, auf einer Wiese bei Malmedy.
    Geheimagenten in Zivil waren nach geglücktem Absprung auf sich allein gestellt. Sie mussten so lange jeden Kontakt mit Einheimischen vermeiden, bis sie sicher sein konnten, auf wessen Seite die stehen, der des Maquis und der Résistance oder der des Pétain-Regimes und der Milice Française . Empfohlen wurden als Unterkunft, falls sie nicht schon die Adresse eines s afe house besaßen, größere Mittelklassehotels in den Städten statt kleiner Herbergen oder Pensionen auf dem Land, wo jeder Fremde automatisch sofort auffallen würde. Männlichen Agenten legten die Ausbilder ans Herz, sich baldmöglichst eine Freundin zu suchen, am besten eine, die »zurückgezogen in einem einzelnen Haus in überschaubarer Umgebung lebt«. Das war nicht etwa ironisch gemeint, obwohl es so klang, sondern eine ernsthafte Empfehlung. Vor Übernachtungen in Bordellen wurde gewarnt, weil dort zu Stoßzeiten Deutsche auftauchen konnten.
    Ihre vorgebliche Biografie auswendig zu lernen war notwendige Voraussetzung für alle Agenten. Dazu gehörte auch zu wissen, wie die Antwort auf scheinbar harmlose Fragen lauten musste, zum Beispiel bei welchem Friseur sie sich zuletzt die Haare hatten schneiden lassen oder wohin sie ihre Wäsche regelmäßig zur Reinigung gaben. Die echten Namen und die echten Adressen in der Region ihres vorgesehenen Einsatzes erfuhren sie in England. Die fürs Überleben notwendige Einsamkeit auszuhalten ist auch eine Frage der inneren Haltung, Willensstärke deshalb bereits bei den ersten Gesprächen mit Kandidaten wesentlich für die Beurteilung. Sie durften nicht einmal ihren nächsten Angehörigen erzählen, was sie erlebt hatten – falls sie unverletzt zurückkehrten nach Hause.
    Das war noch eine leichtere Last. Schwerer wog die andere. Zu wissen, dass sie stets in Todesgefahr waren, dass Agenten ihrer Art, worüber man sie rücksichtslos offen vor dem Einsatz aufklärte, wegen Spionage als feindliche Ausländer von den Deutschen sofort und auf der Stelle erschossen wurden. Gesucht waren nicht in erster Linie physisch robuste Männer und Frauen, sondern eher solche mit einer starken Psyche, die selbst unter extremen Bedingungen in der Lage sein würden, kühl Entscheidungen zu treffen, von denen nicht nur ihr eigenes Leben abhing, sondern auch das anderer. Dazu gehörte notgedrungen auch die Bereitschaft, einen Menschen zu töten. Die Technik des Killens musste nicht nur geübt, sondern im Falle eines Falles innerhalb von Sekunden eiskalt in die Tat umgesetzt werden. Es sei zwar unter Umständen zu schaffen, erklärte Buckmaster, innerhalb von Wochen einen Schlappschwanz in Form zu trimmen, aber innere Courage und Furchtlosigkeit in Gefahr und Not ließen sich nicht antrainieren.
    Von Jelsops Beurteilung hing deshalb alles Weitere ab. Nancy Fiocca gefiel der Mann nicht. Sie ihm offensichtlich schon. Denn am 27 . November bekam sie einen förmlichen Brief mit der Aufforderung, am Mittwoch, dem 8 . Dezember 1943 , pünktlich 10 . 30 Uhr zu weiteren Gesprächen, diesmal im Welbeck House in 15 Welbeck Street, zu erscheinen. Sie müsse kein Gepäck mitbringen, weil sie für ein paar Tage London nicht verlassen werde: »You will not be required any kit with you in the first instance as you will not be leaving London for a few days.« Eine Referenz von Captain Ian Garrow lag bereits vor. Er kenne, schrieb er, die Bewerberin und ihre professionellen Fähigkeiten lange genug, um mit absoluter Sicherheit sagen zu dürfen, dass sie geeignet sei für geheime Einsätze – »she is suitable for confidential work« –, und ohne zu zögern könne er die Dame

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