Codename Hélène
nutzen.
Also gibt Anselme Schnellkurse, verbunden mit taktischen und strategischen Anweisungen für die Anwendung, und macht seine Sache sehr gut: »He did a very good job as instructor«, lobt Farmer, erwähnt aber nicht, dass die Maquisards den Amerikaner bald voller Bewunderung nur noch »Captain Bazooka« nennen. Scheint ihm offenbar unpassend für seinen offiziellen, nur für den Dienstgebrauch gedachten Bericht. Betont stattdessen, dass sie das Waffentraining ohne SOE -Agentin Hélène gar nicht geschafft hätten, denn Nancy Wake sei es, die dabei Lieutenant René Dusacq nicht von der Seite weichen darf. Sie übersetzt, was er verkündet, in simples, leicht verständliches Französisch, und sie dolmetscht, sobald die Franzosen etwas nicht verstehen und nachfragend von Dusacq mehr wissen wollen.
Der übrigens hat den Krieg überlebt. Beim 50 . Jubiläum der Landung, im Juni 1994 , als dann 83 -jähriger Veteran, ist er noch einmal mit dem Fallschirm abgesprungen wie einst im Mai 1944 . Vor den staunenden Reportern am Boden fragte er lakonisch, wovor er denn Angst hätte haben sollen. Im Vergleich zu damals, vollgepackt mit Munition in tiefer Nacht, »somebody shooting at you«,sei das soeben doch eine eher einfache Übung gewesen .
Auch die Organisation der Lieferungen übernimmt Hélène. Zunächst müssen die Container schnellstmöglich in sichere Verstecke transportiert werden, wo sie dann ausgepackt werden. In jedem einzelnen sind gewöhnlich verstaut: sechs leichte Maschinengewehre mit je 1000 Munitionsladungen. 36 Gewehre mit je 150 Schuss Munition, 27 Maschinenpistolen mit je 300 und fünf Pistolen mit je 50 Ladungen Munition, 40 Eierhandgranaten, zwölf Sprengkörper mit Zündern und Schnüren und noch mal extra 6000 Munitionsladungen für die Neun-Millimeter -Welrod. Sie teilt die Waffen an die einzelnen Kompanien Gaspards aus und lässt dann die auffälligen Container verschwinden – nach oben in die Spitzen von Kirchtürmen, nach unten in die Tiefen der vulkanischen Seen des Zentralmassivs oder die Stollen verlassener Kohlenminen oder sogar in zerfallene Grabkammern auf örtlichen Friedhöfen.
Nancy Wake prüft, ob alle ausreichend Munition haben. Sie sorgt für Nachschub, falls es an Decken oder Zeltplanen fehlt. Sie kümmert sich darum, dass alle genügend zu essen bekommen. Wenigstens das soll reibungslos funktionieren. Die meisten der Widerstandskämpfer haben keine militärische Ausbildung. Was ihnen an Praxis fehlt, ersetzen sie durch Begeisterung. Zur Motivation der Truppen gehört auch ein Schild am Eingang zum Feldlager, auf dem verkündet wird, ab hier beginne das freie Frankreich: »Ici commence la France libre.« Das stärkt zwar den Stolz und die Moral, aber das allein dürfte gegen die bestens ausgebildeten und taktisch geschulten Deutschen nicht ausreichen, sobald die erst mal mit dem Angriff beginnen.
Im Forsthaus, das als Hauptquartier dient, weil es nur da ein funktionierendes Telefon gibt, sitzt Mademoiselle Andrée inzwischen wie selbstverständlich am Tisch der Männer, wenn die über Strategie und Taktik sprechen. Somit ist auch Nancy Wake, alias die »Weiße Maus«, alias SOE -Agentin Hélène, mit verantwortlich dafür, ob die Schlacht am Mont Mouchet gewonnen werden wird oder nicht. Sie ist die einzige Frau in der Führungsspitze des Männerbunds Résistance in der Auvergne.
Ihre Freundin Violette Szabo, mit der zusammen sie ein paar Monate zuvor dem Ausbilder Captain Nobby Walker einen Streich gespielt hatte, als sie seine Hose am Fahnenmast des Camps hissten, war just in der Nacht, als Nancy Wake in Frankreich landete, nach England zurückgeflogen. Die beiden jungen Frauen hatten sich zuletzt in London bei einer Abschiedsparty vor Agentin Szabos erstem Einsatz getroffen und sich dabei auf einen Drink in hoffentlich friedlichen Zeiten verabredet.
Es sollte ein Abschied für immer werden.
Violette Szabo war, gerade mal 22 Jahre alt, ähnlich wie Nancy durch ihren leidenschaftlichen Willen aufgefallen, unter allen Umständen und wo auch immer man sie einsetzte die Nazis zu bekämpfen. Aus Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen, aber gewiss spielte dabei ebenso Hass eine Rolle, geboren aus jeweils eigener persönlicher Erfahrung. Bei Nancy Wake entstanden, als sie in Wien erlebte, wie schändlich die Juden behandelt wurden. Bei Violette Szabo gepflanzt, als ihre große Liebe in Nordafrika bei einem Schusswechsel mit deutschen Soldaten gefallen war. Vier Monate
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