Codename Hélène
vor der Geburt ihrer Tochter.
Sie wolle ihren Ehemann rächen, erklärte sie SOE -Rekrutierer Selwyn Jelsop, der einst nach dem Gespräch im Victoria Hotel Nancy Wake als bestens geeignet empfohlen hatte. Auch Violette Szabos wahre Stärken zeigten sich nicht etwa in physischer Kraft und außergewöhnlichen Leistungen beim Nahkampf oder im Fallschirmspringen. Ihre Begabung entsprach laut übereinstimmender Meinung aller Ausbilder, so festgehalten in ihrer Personalakte, der von Nancy Wake: In gefährlichen Situationen neigten beide dazu, kühl die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und noch etwas hatten sie gemeinsam: »They both were beautiful«, sie waren beide schön.
Alles das brauchte Violette Szabo bereits bei ihrem ersten Auftrag, mit dem sie am 6 . April 1944 nach Frankreich geschickt worden war. Das wichtige Netzwerk Salesman war zerrissen, von den Deutschen enttarnt, seine Helfer waren fast alle festgenommen worden, sein Chef Major Charles Staunton, in Wahrheit ein französischer Journalist namens Philippe Liewer, auf der Flucht. Violette Szabo, Codename bei diesem Einsatz Louise, musste erkunden, ob doch noch was zu retten war von den mühsam aufgebauten Strukturen. Sie bekam genaue Anweisungen, schließlich hatte sie außer den paar Monaten Theorie in der Ausbildung keine Erfahrungen in der Praxis namens Feindesland.
Wenn sie sich dem ihr angegebenen safe house näherte, sollte sie zum Beispiel auf ein bestimmtes Fenster achten. Sei ein leerer Vogelkäfig zu sehen, müsse sie unverzüglich und ohne stehen zu bleiben sofort weitergehen, am besten zum nächsten Bahnhof, und sich aus dem Staub machen. Ein leerer Käfig bedeutete, dass die Gestapo bereits im Haus lauerte. Zwar war dann in Wirklichkeit nichts im Fenster zu sehen, zwar hatten die Deutschen diese Adresse offensichtlich noch nicht entdeckt, aber vom Netzwerk war nichts mehr zu retten.
Damit war ihr Auftrag eigentlich bereits erfüllt.
Doch bevor sie, vereinbart per kodiertem Funkspruch, zusammen mit Liewer in der Nacht vom 30 . April zum 1 . Mai auf einer mit ein paar Fackeln kurzfristig zur Start- und Landebahn umfunktionierten Wiese per Lysander wieder nach London flog, hatte sie frech in einem Modeladen ein Kleidchen für ihre kleine Tochter eingekauft, sich erneut in Lebensgefahr begeben und getarnte Stellungen der geheimnisvollen V 1 -Raketen an der Küste ausgespäht. Ihre Informationen ergänzten die Luftaufklärung und ermöglichten es britischen Bomberpiloten, einige der versteckten Abschussrampen anzugreifen, bevor von denen die Sprenggeschosse Richtung England flogen. Fast zehntausend dieser tödlichen Geschosse wurden bis Ende März 1945 dennoch abgefeuert, mehr als ein Viertel trafen ihr Ziel, bevor sie abgeschossen werden konnten und ihr tuckerndes Motorengeräusch erstarb.
Eintrag vom 4 . Mai 1944 in Agentin Louises Personalakte: »She has just returned from an important mission in the field which she has performed admirably«, was ihre Leistung im Feld als bewunderungswürdig charakterisierte und dem widersprach, was ihr erster Ausbilder zu Protokoll gegeben hatte: Zu seinem großen Bedauern müsse er feststellen, dass sie als Agentin im Einsatz ungeeignet sei, weil »ihre schicksalsergebene Grundhaltung nicht nur ihr Leben, sondern eben auch das aller anderen gefährden« würde. Ein krasses Fehlurteil, wie sich herausstellte. Buckmaster setzte sich darüber hinweg. Was wiederum er sich nie verzieh.
In England blieb sie vier Wochen bei ihrer Tochter, die bei den Großeltern lebte, meldete sich dann erneut zusammen mit Liewer für einen weiteren Einsatz kurz vor dem vorgesehenen D-Day. Was sie selbstverständlich nicht wussten, denn das genaue Datum war ein streng gehütetes Geheimnis. Ihr Auftrag lautete, Kontakt aufzunehmen zu den wichtigsten Gruppen des Maquis und der Résistance und dafür zu sorgen, dass die in Alarmbereitschaft standen für den großen Tag. Diesmal sprangen sie aus einem amerikanischen Flugzeug, einer Liberator, in der Nähe von Issoudun im Département Indre ab.
Drei Tage später gerieten Agentin Corinne, wie jetzt ihr Codename lautete, und ihr Begleiter des Maquis in eine Straßensperre der SS . Vom schwarzen Citroën, in dem sie saßen, ließen sich die Deutschen nicht täuschen. Sie stoppten das Auto mit erhobenen Maschinenpistolen. Szabo und ihr Chauffeur sprangen links und rechts aus dem noch fahrenden Wagen, der sofort von Schüssen getroffen wurde, und versuchten, durch ein Weizenfeld zu
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