Codename Tesseract - Wood, T: Codename Tesseract - The Killer
womöglich genau wegen dieser Verbohrtheit.
Völlig automatisch führte er alle möglichen Manöver durch, um Verfolger abzuschütteln, benutzte Nebenstraßen, ging manche Strecken wieder zurück, stieg in wechselnde Busse. Zunächst versuchte er ohne Erfolg, sich eine Strategie zurechtzulegen, die sich mit seiner Paranoia in Einklang bringen ließ, bis er sich schließlich – lange, bevor er das nächste Internet-Café ansteuerte – entschloss, Kontakt mit dem Makler aufzunehmen. Wenn seine erste Vermutung richtig war und der Makler für die Ereignisse von Paris tatsächlich mitverantwortlich war, dann blieben seine Chancen unverändert. Aber vielleicht wusste der Makler ja etwas, das ihm weiterhelfen konnte. Er hatte schließlich immer noch den USB-Stick. Das war unter Umständen genau das Faustpfand, das er brauchte.
Er loggte sich in das Chat-Forum des Online-Spiels ein. Der Makler war nicht eingeloggt, aber in Victors Postfach war eine Nachricht abgespeichert. Der Makler hatte sie hier hinterlassen, am Montag. Er öffnete sie. Eine Erwiderung auf seinen letzten Beitrag, eine Tirade über die Pflicht, Abmachungen einzuhalten, und über »Vertrauen« – ausgerechnet. Victor löschte die Nachricht und verfasste einen eigenen Text.
Sagen Sie mir, was in Paris wirklich passiert ist. Dann liefere ich das Päckchen vielleicht doch noch ab.
Kurz und knapp. Jetzt musste er nur abwarten.
Kapitel 26
Paris, Frankreich Donnerstag 22:22 MEZ
Kennard spazierte durch die menschenleere Straße, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Bei jedem Schritt ballte sich die Feuchtigkeit in dichten Wolken über seinem Kopf. Er hatte viel zu tun, musste zum Beispiel seine dienstlichen E-Mails durchsehen, aber nichts war wichtiger als das hier. Er gelangte zu der öffentlichen Toilette und blickte sich flüchtig um. Die Richtlinien verlangten zwar, dass er die ganze Gegend vorher sorgfältig absuchen musste, aber es war viel zu kalt für diese elende Prinzipienreiterei.
Seine Schuhe erzeugten ein Echo auf den Betonstufen, während er unter die Erdoberfläche stieg. Der Uringestank war in Paris vielleicht weniger überwältigend als zum Beispiel in L. A., aber widerlich ist und bleibt widerlich. Er schob eine Münze in den Schlitz und ging durch das quietschende Drehkreuz.
Nur eines der drei Deckenlichter funktionierte. Eine einzige nackte Glühbirne sorgte für eine Beleuchtung wie im Gruselkabinett, und die Armaturen warfen lange Schatten. Hier unten war es sogar noch kälter als draußen. Der Amerikaner sah, wie sich die Nebelschwaden seines Atems in der Dunkelheit verloren. Die Wände waren fleckig, die Urinale rissig, die Wasserhähne rostig, die Fußböden nass.
Was für ein Dreckloch. Kein Wunder, dass die Franzosen immer so schlecht gelaunt waren, wenn sie sich mit öffentlichen Toiletten wie diesen begnügen mussten. Auf den ersten Blick war niemand sonst hier, und Kennard schaute auf seine Armbanduhr. Er war pünktlich auf die Minute. Er rieb sich die Hände und hoffte, dass der Kontaktmann nicht mehr allzu lange auf sich warten ließ.
Kurz nachdem er gemerkt hatte, dass eine der Kabinen besetzt
war, hörte er die Spülung. Einen Augenblick später ging die Tür auf, und eine Gestalt kam heraus, ging zum Waschbecken und streifte Kennard mit einem kurzen Seitenblick.
Der Mann trug einen schwarzen Anzug und einen Mantel. Er drehte den quietschenden Wasserhahn auf und wusch sich die Hände, langsam und methodisch, ohne sich von der Kälte stören zu lassen. Seine blauen Augen starrten Kennard aus dem Spiegel über dem Waschbecken an. Das musste er sein.
»Blake?«, fragte Kennard.
»Ich bin Dawson«, erwiderte der Mann, der weder Blake noch Dawson war.
Sein britischer Akzent stürzte Kennard kurzzeitig in Verwirrung, und er zögerte. Aber der Akzent spielte keine Rolle. Der Code war vollständig. Kennard trat vor das Waschbecken und steckte die Hand in die Innentasche seines Mantels. Der andere drehte sich ruckartig zu ihm um, so blitzartig, dass Kennard augenblicklich erstarrte.
»Solche Bewegungen sind unklug«, stellte der Mann sachlich fest.
Kennard glaubte ihm. Langsam brachte er zu Ende, was er angefangen hatte, und holte einen kleinen, dicken Briefumschlag aus der Tasche.
»Für Sie«, sagte er.
Der Mann beäugte den Umschlag ein paar Sekunden lang, drehte sich um und setzte mit der Rückseite seines Handgelenks den Handtrockner in Gang. Kennard stand da, den Briefumschlag in der Hand, und kam sich
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