Codename Tesseract - Wood, T: Codename Tesseract - The Killer
Klinge einklappte und das Messer in eine Scheide am linken Unterarm zurücksteckte. Erneut trat der Mann vor das Waschbecken und fing an, sich systematisch die Hände zu waschen. Kennard musste das alles hilflos mit ansehen, die Hände auf das glitschige, zerfetzte Durcheinander seiner Eingeweide gelegt. Er war so müde.
Als der Mann schließlich seine Hände abgetrocknet hatte, war Kennards Kopf schon halb auf seine Brust gesackt. Er hörte das Klicken der Absätze auf den Bodenfliesen, sah das stumpfe, schwarze Schuhleder, als der Mann an ihm vorüberging. Er hörte das Quietschen des Drehkreuzes und die langsam leiser werdenden Schritte, während der Mann die Treppe hinaufstieg.
Kennard griff in die Innentasche seines Mantels und suchte nach seinem Handy, konnte es aber nicht finden. Auch seine Brieftasche war verschwunden. Er hatte es nicht einmal bemerkt. Da sah er das Portemonnaie neben sich auf dem Fußboden liegen. Leer. Damit sein Tod aussah wie ein Raubmord. Das Smartphone war auch weg.
Kennard rührte sich nicht, versuchte gar nicht erst wegzukriechen. Es hatte keinen Sinn.
Er wusste, dass er keine Chance hatte.
Kapitel 27
Marseille, Frankreich Freitag 05:03 MEZ
Rebecca Sumner rückte ihre Brille zurecht und sah die Texte auf ihrem Laptopbildschirm durch. Am Abend zuvor war ein aus Kalifornien stammender amerikanischer Staatsbürger und Mitarbeiter der US-amerikanischen Botschaft in Paris erstochen worden. Die Polizei ging von einem Raubmord aus, da der Inhalt seiner Brieftasche und sein Handy gestohlen worden waren. Ein Stück weiter unten war zu lesen, dass er als Kulturattaché tätig gewesen war. Das konnte entweder bedeuten, dass er tatsächlich Kulturattaché gewesen war, es war aber auch denkbar, dass das – nicht untypisch für das Vorgehen der Agency – lediglich seine Tarnung gewesen war. Sein Name war John Kennard gewesen. Der sagte ihr nichts.
Rebecca spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Der Zeitpunkt kam ihr merkwürdig vor, so kurz nach dem Massaker vom Montag. Sie hatte die Anweisung erhalten, sich nicht von der Stelle zu rühren und auf weitere Instruktionen zu warten, und genau das hatte sie getan. Aber dann hatte sie diese unerwartete Mitteilung in ihrem Posteingang entdeckt, und ihr Mittelsmann hatte sich auch nicht zurückgemeldet. Und jetzt das. Da musste es einen Zusammenhang geben, das konnte doch kein Zufall sein. Oder war sie einfach nur paranoid? Sie saß am Schreibtisch der spartanisch eingerichteten Wohnung, die sie seit ein paar Monaten ihr Zuhause nannte. Der Bildschirm war die einzige Lichtquelle und warf einen schwachen Schimmer auf ihr Gesicht.
Sie wusste nicht, wie ihr Mittelsmann hieß, hatte ihn nie persönlich kennengelernt. Sie hatten ausschließlich über abhörsichere Satellitentelefone und das Internet miteinander kommuniziert. Sie wusste nicht, wer sonst noch an dieser Operation
beteiligt war oder wer sie überhaupt angeordnet hatte. Sie erfuhr nur das, was sie unbedingt wissen musste, und das war offensichtlich nicht besonders viel. Aber auch ohne, dass ihr das irgendjemand gesagt hatte, war ihr klar, dass es sich um eine inoffizielle Operation handelte, und zwar um eine sehr inoffizielle.
Es war jetzt fast fünf Tage her, dass die ganze Sache so katastrophal schiefgegangen war. Am Dienstag hatte sich ihr Kontaktmann das letzte Mal gemeldet und die Direktive ausgegeben, die Stellung zu halten und auf neue Instruktionen zu warten. Das hatte sie getan. Vier Tage lang hatte sie sich von dem ernährt, was ihre Schränke hergaben, war kein einziges Mal nach draußen gegangen, hatte ununterbrochen vor dem Computer gesessen und gewartet. Vor zwölf Stunden war etwas geschehen, wodurch sich alles verändert hatte. Der Killer hatte ihr eine Nachricht geschickt. Das war im Drehbuch nicht vorgesehen gewesen.
Also hatte sie ihre Anweisungen missachtet und ihrem Mittelsmann wenige Minuten nach Eintreffen der Nachricht eine E-Mail geschickt. Es dauerte immer etliche Stunden, bis er reagierte, aber dieses Mal hatte sie auch nach einem halben Tag noch keine Antwort gehabt. Ihr Handeln war ein klarer Verstoß gegen die strikten Handlungsanweisungen, die für diese Operation festgelegt waren, aber sie hatte das Gefühl, dass der bisherige Verlauf der Kommunikation ihr Vorgehen rechtfertigte. Es war jedenfalls eine Chance, wieder auf Kurs zu kommen. Sie war davon ausgegangen, dass die Antwort nur deshalb so lange auf sich warten ließ, weil die Verantwortlichen
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