Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
Islam abgewendet hatten. Diese Botschaft gewann noch an intellektueller Zugkraft, als Syrien, der Irak und Ägypten hart gegen religiöse Dissidenten durchgriffen.
Angehörige der Muslimbruderschaft predigten, die Araber seien geschlagen worden, weil Israel Verrat begangen habe und von den Vereinigten Staaten militärisch unterstützt worden sei. Sie glaubten, die Muslime seien von Allah gezüchtigt worden, weil sie sich vom wahren Glauben entfernt hatten. Sie glaubten, der einzige Weg für die arabischen Völker, den Staat Israel zu zerstören, sei die Vereinigung unter muslimischer Herrschaft. Die Fundamentalisten behaupteten wie schon vor ihnen die Marxisten, Gewalt sei das einzig legitime Mittel des sozialen Wandels. Ihr Glaube war absolutistisch. Der einzige Weg, der Welt Frieden und Gerechtigkeit zu bringen, war, dass die Menschheit den Islam annahm – als Religion und als einheitstiftende Weltregierung. Für die jungen muslimischen Männer, die nach Vergeltung für die Jahre der arabischen Demütigung dürsteten, war der Aufruf zum Heiligen Krieg unwiderstehlich.
An der Al-Thagher-Schule kam Osama durch einen seiner Lehrer, einen Religionsflüchtling aus Syrien, mit dschihadistischer Philosophie in Berührung. Osama bin Laden war alles andere als ein geborener Revolutionär. Er hatte seinen Vater jung verloren, doch war er aufgewachsen, ohne je Mangel kennenzulernen – oder die Ungerechtigkeiten, die den Wohlstand seiner Familie ermöglicht hatten. Er war ein privilegierter Heranwachsender, der sich kaufen konnte, was er wollte, leben konnte, wie er wollte, und nach Lust und Laune das familieneigene Privatflugzeug benutzen konnte. Er war religiös, aber nicht fanatisch. Sein Leben war recht angenehm.
Weder Osama bin Ladens Stiefvater noch seine Mutter waren übermäßig fromm. Zu Hause dürften ihm daher weder Hass noch Bigotterie gepredigt worden sein. Freunde und Verwandte haben bestätigt, dass er im Zuge seiner Ausbildung an der Al-Thagher-Schule immer religiöser wurde. Mit 14 hatte sich Osama zum Ziel gesetzt, ein Hafiz zu werden – ein Muslim, der den ganzen Koran auswendig konnte. Ob er das geschafft hat, ist zweifelhaft. Doch er geriet in eine kleine Clique von Schülern, die mit großem Eifer beteten und bis spät in die Nacht hinein über den Koran sprachen.
Osama trug oft verknitterte Kleidung, um den Propheten Mohammed nachzuahmen, wie er glaubte. Er ließ sich einen dünnen Bart wachsen und zog zum Fußballtraining keine Shorts mehr an, weil er kurze Hosen für unislamisch hielt. Auf der anderen Seite des Erdballs – in den Vereinigten Staaten von Amerika – machten sich bestimmte Gruppen von Collegestudenten ebenso engagiert das Christentum zu eigen. Sie legten an Straßenecken Zeugnis ab und kopierten die ruhige Gelassenheit ihres Propheten Jesus Christus. In Amerika betitelte man solche Studenten liebevoll als „Jesus-Freaks“. Für fromme Studenten in Saudi-Arabien gab es keinen Spitznamen. Saudi-Arabien ist ein durch und durch religiöses Land und dass sich manche der dortigen Studenten leidenschaftlich für den Islam begeisterten, überraschte niemanden. Doch Osama bin Laden war damals weit davon entfernt, anderen Böses zu wünschen oder gar Gewalt zu befürworten.
Mit 16 heiratete Osama seine Cousine ersten Grades, Najwa Ghanem. Er ging noch zur Schule, sie war 14 Jahre alt. Die beiden kannten sich schon ihr Leben lang. Das junge Paar zog in eine kleine Wohnung im Haus von Osamas Mutter gleich am Dschidda-Highway und begann, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Dass sie noch Teenager waren, war nicht weiter ungewöhnlich. In der saudischen Oberschicht war es durchaus üblich, jung zu heiraten. Osamas Mutter war selbst erst 15 gewesen, als er zur Welt kam.
Anders als viele seiner Brüder und Schwestern entschied sich Osama gegen den Besuch einer Universität im Ausland. Er war zwar nur ein mittelmäßiger Schüler gewesen, doch mit seinem Geld hätte er die Zulassung zu jeder Universität seiner Wahl erkaufen können. Etliche bin Ladens haben amerikanische Elitehochschulen besucht, manche von ihnen Harvard. Osamas Entscheidung für die König-Abdulaziz-Universität in Dschidda beruhte weniger darauf, dass er den Westen hasste, sondern lag darin begründet, dass er in der Nähe seiner Familie bleiben wollte.
An der Hochschule studierte Osama Betriebswirtschaft. Zu den Vorlesungen wurde er von einem Chauffeur im Mercedes vorgefahren. Oft reiste er ins Heimatdorf seiner Mutter
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