Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
nicht mehr gegen gottlose Sowjets, sondern gegen die Überreste der afghanischen Armee. Es entfaltete sich die letzte und brutalste Farce des Afghanistankriegs. Jetzt spielten Osama bin Laden und Aiman Sawahiri Muslime gegen Muslime aus.
In Peschawar beglich Sawahiri alte Rechnungen mit anderen ägyptischen Radikalen. Einer, der sich noch an seinen Verrat erinnerte, war Scheich Omar Abdel-Rahman, der blinde Kleriker, der Sadats Leben mit einer Fatwa für verwirkt erklärt hatte, die den Mord an abtrünnigen politischen Führern sanktionierte.
Sawahiri wehrte sich gegen die Wahrheit über seine Kollaboration mit dem Hinweis auf den offensichtlichen Umstand, dass Scheich Rahman blind sei – und die dschihadistische Bewegung ja wohl kaum von einem Mann angeführt werden könne, der nichts sah. Die Ironie seiner Argumentation musste Sawahiri wohl entgangen sein, trug er doch selbst eine markante Brille mit dicken Gläsern.
Die beiden konkurrierten um Osamas offizielle Unterstützung. Sawahiri gewann die Schlammschlacht und bin Laden überwies aus Dschidda 100.000 US-Dollar, damit der Arzt eine neue Organisation namens al-Dschihad gründen konnte. Am Ende würde Sawahiri diese Gruppierung mit al-Qaida verschmelzen, da der Markenname für die westlichen Medien leichter auszusprechen war.
Wieder in Saudi-Arabien, kehrte Osama demonstrativ ins Baugewerbe zurück und pendelte zwischen seinem Landgut, seinem Mehrfamilienhaus in Dschidda und einem Domizil in Mekka. Osama lebte bescheiden – in krassem Kontrast zu dem protzigen Stil Dutzender saudischer Prinzen, die in Lotus-Cabrios herumrasten, an der französischen Riviera Partys feierten und verkatert unter den hohen Minaretten beteten, die Mohammed bin Laden errichtet hatte.
Für Tausende von Muslime war Osama bin Laden ein überlebensgroßer Held. Für sie vereinte er wie früher Abdallah Azzam den Reiz eines Kriegers mit mystischer religiöser Intensität.
Er selbst begann, sich als Mann zu sehen, der ein Schicksal zu erfüllen hatte. Seine Gesten waren weich, beinahe katzenhaft, und seine Stimme so leise, dass man genau hinhören musste, um ihn zu verstehen. Osama sprach bewusst so und eignete sich die zurückgenommene Gestik und den stoischen Blick eines Menschen an, zu dem Gott sprach. Seine näselnde Stimme wollte nicht recht zu seiner Botschaft passen, die immer apokalyptischer wurde.
Am Abend nach seiner Rückkehr erhob sich Osama nach dem Abendgebet in einer der Moscheen seiner Familie in Dschidda, um zu sprechen. Seine Zuhörer waren männlich und manche von ihnen waren bereits seiner Aufforderung nachgekommen und hatten in Afghanistan gegen die Russen gekämpft. Sie hatten miterlebt, wie der Feind in die Flucht geschlagen wurde, und sahen jetzt, wie das Sowjetreich in Auflösung begriffen war.
Osama hatte sich eingeredet, dass seine abgerissene Horde von Dschihadis den neunjährigen Krieg entschieden und letztlich den Sieg gegen die Russen herbeigeführt hatte. Er glaubte fest, es sei den militärischen Leistungen der afghanischen Araber zu verdanken, dass sich das Blatt gewendet hatte und die Sowjetunion über die Grenze zurückgeschlagen wurde. Und nun visierte er die andere Supermacht an. Osama teilte der Versammlung mit, es sei an der Zeit, die Vereinigten Staaten zur Rechenschaft zu ziehen.
„Amerika zog in das Tausende von Kilometern entfernte Vietnam und bombardierte es von Flugzeugen aus“, erklärte Osama seinen faszinierten Zuhörern. „Erst als die Amerikaner enorme Verluste erlitten hatten, zogen sie sich aus Vietnam zurück. Über 60.000 amerikanische Soldaten wurden getötet, bis das amerikanische Volk dagegen demonstrierte. Die Amerikaner werden ihre Unterstützung für die Juden in Palästina erst einstellen, wenn wir ihnen eine Serie von Schlägen versetzen. Sie werden erst aufhören, wenn wir einen Heiligen Krieg gegen sie führen.“
Später behauptete Osama, sein Hass gegen die Vereinigten Staaten habe begonnen, als 1982 US-Truppen im Libanon landeten. „Amerika gestattete den Israelis, im Libanon einzumarschieren, und die sechste US-Flotte half ihnen dabei.“ Das war auch so. Amerikanische Marines waren unter dem Feuerschutz der amerikanischen Mittelmeerflotte an Land gegangen – doch nur, um Jassir Arafats sicheres Geleit beim Abzug zu garantieren.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Navy SEALs zur Neutralisierung von Heckenschützen eingesetzt wurden, damit die israelische Armee Arafat beim Besteigen des Schiffes nach
Weitere Kostenlose Bücher