Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
auf dem Flug von Norfolk, Virginia – einem 16-stündigen Marathon mit zwei Tankmanövern in der Luft – und dann während der eiligen Vorbereitungen zur Einrichtung des JOC, von wo aus er den Ablauf der Operation Neptune’s Spear verfolgen würde.
Wie bei dem Einsatz bei der Entführung der Maersk Alabama gingen die „Twidgets“ – die Spezialisten von Det Alpha – mit Energie ans Werk. Sie entluden Paletten mit Ausrüstung aus Flugzeugen, bauten aufblasbare Zelte auf, um Webserver und Geheimausrüstung zu schützen, und zogen Hunderte Meter von Kabeln, um tonnenweise Kommunikationsausrüstung anzuschließen und Downlinks zu Plasmabildschirmen und Telekonferenzausrüstung herzustellen, über die der JSOC-Kommandeur in Echtzeit mit dem Weißen Haus, dem Pentagon und der CIA sprechen konnte. Bei Det Alpha kursierte der Witz, dass der Admiral mit jedem Menschen auf der Welt sprechen konnte, nur nicht mit Osama bin Laden – aber nur, weil Osama kein funktionierendes Telefon hatte. Andernfalls hätte es Det Alpha auf seinem Nachttisch klingeln lassen und ihm das Ferngespräch sogar in Rechnung stellen lassen können, wenn er abgehoben hätte. Diese Kerle waren das SEAL-Team 6 des Cyberspace.
Admiral McRaven entfernte sich von den Zelten. Seine Augen stellten sich auf die Dämmerung ein. Auf den Bergen rund um die Rollbahnen wurde es schon Nacht. Zwei SEAL-6-Soldaten in Kampfhosen und Funktionswesten folgten McRaven auf seinem Spaziergang. Sie hatten kurzläufige M-4 mit Lasersuchern bei sich, sogenannte „Chopper“. Die Waffen passten unter eine Jacke und feuerten dieselben tödlichen 5,56-mm-Geschosse ab wie ihre größere Cousine, das M-4-Sturmgewehr. Dschalalabad galt als Kampfgebiet. Der Luftstützpunkt war fünf Monate zuvor angegriffen worden. Als afghanische Soldaten verkleidete aufständische Taliban waren eingedrungen und hatten um sich geschossen. Der Admiral durfte zwar spazieren gehen, doch die SEALs, die ihn bewachten, waren immer zwölf Schritte hinter ihm.
McRaven ging an den Hangars vorbei, in denen die Hubschrauber des Sturmtrupps standen. Die Tore der Hangars waren fest geschlossen und eine Wache nickte dem passierenden McRaven zu. Im Kampfgebiet salutierte man nicht vor Offizieren und außerdem trug McRaven keine Rangabzeichen, die ihn als Vier-Sterne-Admiral ausgewiesen hätten. Wie üblich hatte er einen einfachen Navy-Kampfanzug angezogen. Der Wachsoldat erkannte ihn nur an seiner Statur und an den beiden Schatten, die ihm folgten.
Hinter den verschlossenen Hangartoren standen vier MH-47-Chinooks und ein Quartett streng geheimer Stealth-Helikopter. Zwei der „Black Birds“ waren Stealth-Hawk-Hubschrauber der ersten Generation, die anderen beiden waren neuere, größere und technisch noch besser ausgerüstete Ghost Hawks. Die Stealth-Helikopter waren lediglich vier Komponenten eines komplexen Hightech-Pakets, mit dem der Anführer von al-Qaida gefasst werden sollte. Nie zuvor in der Geschichte US-amerikanischer Spezialeinsätze war so viel hochgeheime Ausrüstung in einem Kampfgebiet aufs Spiel gesetzt worden.
McRaven setzte seinen Marsch zwischen den Hangars fort und ging über ein verlassenes Rollfeld. Dschalalabad war früher ein sowjetischer Luftstützpunkt gewesen. Die Russen nannten ihn „Standort 562“ nach seiner Höhe über dem Meeresspiegel in Metern. Von Standort 562 aus hatten die Sowjets mit Hubschraubern unter den Mudschaheddin und dem afghanischen Volk gewütet. Unter sowjetischer Besatzung verschwanden über zwei Millionen Nichtkombattanten. Als sie abzogen, machten sich die Russen nicht die Mühe, hinter sich aufzuräumen. Der Flugplatz von Dschalalabad war übersät mit havarierten Sowjetmaschinen, ausgebrannten Rümpfen von Angriffshubschraubern des Typs Mi-8 „HIP“ und düsteren walartigen Umrissen der todbringenden Kampfhubschrauber Mi-24 „HIND“. Als die Amerikaner den Stützpunkt übernahmen, nannten sie ihn „J-bad“. Der Name schien zu passen.
Bill McRaven wollte sich die Beine vertreten und ging das ganze Rollfeld hinunter, bis an die Stelle, wo es an J-bads Startbahn 45 Right stieß. Die Hangars hoben sich schieferfarben vom mondlosen Himmel ab. Die Luft kühlte rasch ab, doch der staubgraue Asphalt speicherte die Hitze. Hoch oben zogen ein paar Wolken vorbei und am Nachthimmel blinkten immer mehr Sterne. McRaven blickte hinauf. Ein paar der Sterne, die er da sah, gehörten ihm. Zumindest kontrollierte er sie.
Vier Aufklärungssatelliten
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