Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
Himmel holte?
All diese Zweifel in letzter Minute bezogen sich auf den seltsamen dreiseitigen Aufbau auf dem Dach des Hauptgebäudes der Anlage. Für Fotoexperten sah er aus wie die Feuerstellung für ein MANPADS – ein tragbares Flugabwehrsystem. Ein dort positioniertes Maschinengewehr konnte den Himmel über dem Haus leer fegen. Ein Mann mit einem Raketenwerfer konnte jeden Hubschrauber abschießen, der sich dem Gebäude auf eineinhalb Kilometer näherte. Es war bekannt, dass Osamas Leibwache über SA-7 aus sowjetischer Produktion verfügte. Sie waren in Mombasa gegen ein israelisches Passagierflugzeug eingesetzt worden. Befanden sie sich jetzt in Abbottabad?
Die Möglichkeit, dass das SEAL-Team 6 von al-Qaida in eine Falle gelockt wurde, war mit den Einsatzkräften diskutiert worden. Die SEALs hielten das Risiko für tragbar. Wenn es ein Hinterhalt war, würde das Red Squadron nicht nur einstecken, sondern auch austeilen.
Als McRaven zur Leitstelle zurückkehrte, hörte er, wie die SEALs Witze rissen, während sie sich fertig machten. Noch ein Grund für seinen Spaziergang. In seiner Anwesenheit verhielten sie sich anders, denn er war immerhin Admiral. Er wusste, sie brauchten Luft, um sich auf ihre Art auf den Einsatz vorzubereiten.
Das SEAL-Team 6 gehört zu den legendärsten Einheiten der amerikanischen Militärgeschichte – zu Recht. Die Einsatzkräfte des Red Squadrons zählten zu den höchstdekorierten US-Soldaten. Viele leisteten schon im siebten oder achten Jahr Dienst als Kombattanten. Keine Veteranen in der amerikanischen Geschichte waren länger im Kampfeinsatz. Die Einsatzkräfte von Team 6 sind Helden und ihre operative Erfahrung qualifiziert sie, offen mit den Männern zu sprechen, die sie in den Kampf führen.
Der Preis für ihren Gehorsam ist die Wahrheit.
Diese Männer sind hochintelligent, erstklassig ausgebildet und findig. Viele haben studiert. Sie sind belesen und gut informiert über alles, was auf der Welt passiert – und was nicht. Die Einsatzkräfte des SEAL-Teams 6 riskieren täglich ihr Leben für ein Land, das sie lieben. Man muss ihnen wohl nachsehen, wenn sie wenig Geduld haben mit Führungskräften, denen „Tischmanieren“ wichtiger sind als der Wahrheitsgehalt ihrer Worte. Eine solche Truppe kann nur von Männern geführt werden, die dieselben Werte hochhalten und dieselben Entbehrungen erlebt haben. Besonders angesehen sind SEAL-Offiziere, die sich im Green Team bewährt haben. Ein SEAL-Offizier, der sich für das Green Team entscheidet, setzt seine Karriere aufs Spiel. Nicht alle SEAL-Offiziere bestehen. Wer eine Führungsposition im SEAL-Team 6 anstrebt, der muss gegen die besten SEALs im Geschäft antreten. Ein Offizier, der im Green Team scheitert, muss damit rechnen, dass er solange aufs Abstellgleis geschoben wird, bis er entweder seinen Hut nimmt oder aus den Teams ausgeschlossen wird. Für sogenannte „Ticket Puncher“ haben die Mitglieder des SEAL-Teams 6 nur wenig übrig – für Offiziere, die durch die Hintertür an Stabspositionen im JSOC kommen und sich nicht den Risiken des Green Teams aussetzen. Das Red Squadron wird, wie die anderen operativen Einheiten von Team 6 auch, ausschließlich von Chief Petty Officers und Offizieren in den Kampf geführt, die sich im Green Team hochgedient haben. Für diese Männer stehen das Team und die Teamkameraden über allen anderen Erwägungen – innerhalb von Team 6 wie außerhalb.
Bill McRaven wusste genau, dass es eine Ehre war, diese Männer kommandieren zu dürfen – und eine Bewährungsprobe für seine Führungsqualitäten. McRaven war einst selbst Schütze gewesen. Die ersten 15 Jahre seiner SEAL-Karriere hatte er als geachtete Einsatzkraft zugebracht, zunächst als Platoon Commander, dann als Sturmtruppführer. Er hatte an der Ausbildung der SEAL-Platoons mitgewirkt, die in Beirut zum Einsatz kamen. In den zweiten 15 Jahren seines Werdegangs war McRaven zum Captain, Commodore und dann zum Rear Admiral aufgestiegen. Er hatte zu Anfang des Afghanistankriegs die Task Force 10 befehligt und seinesgleichen dabei weit in den Schatten gestellt. Die TF-10 jagte Osama bin Laden und Aiman Sawahiri über die rauen Berge Afghanistans – bis in die pakistanischen Stammesgebiete hinein.
An der Spitze angelangt, setzte sich Bill McRaven zwar nicht immer für jeden alten Teamkameraden ein, der in Schwierigkeiten geriet, doch er behielt die SEAL-Gemeinschaft im Auge und trug viel dazu bei, dass der eiserne Griff der „Big
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