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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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kannte die Menschen, sprach ihre Mundart, verstand ihre Sorgen. Richard aber wollte mehr für ihn. Als Hitler zum Reichskanzler gewählt wurde, redete er auf Daut ein. »Der Mann ist die Zukunft Deutschlands! Wenn du etwas werden willst, musst du in die Partei eintreten.«
    Daut verstand nichts von Politik, sie interessierte ihn nicht. Wenn Hitler redete, lief ihm oft ein kalter Schauer über den Rücken. Andererseits versprach er, endlich mit dem Berufsverbrechertum aufzuräumen. Nicht, dass es in seiner kleinen Stadt Berufsverbrecher gab, aber was man aus den Großstädten so hörte ... Daut hatte nur ein Ziel: die Uniform auszuziehen und Kriminalbeamter zu werden. Nicht in einer Großstadt, sondern daheim. Im Februar 1933 stellte er den Aufnahmeantrag in die NSDAP. Erfolgreich, er wurde Mitglied Nummer 1.925.877.
    »Mensch, hast du Glück gehabt«, sagte Kolberg und meinte damit den Aufnahmestopp kurze Zeit später, der den Massenansturm von Opportunisten in die Partei stoppen sollte. Dabei war er doch auch nichts anderes. Er steckte sich das Parteiabzeichen ans Revers und merkte bald, dass es ihm mehr Respekt verschaffte als sein Polizistenstatus. Kolberg war es auch, der ihm von den freien Stellen in Berlin erzählte. Zur Olympiade brauchte man Polizisten. Dass er sich bewarb, lag aber am beharrlichen Zureden seines Schwiegervaters. Gustav Hülskamp hatte sich auch nach sechs Jahren nicht damit abgefunden, dass er einen kleinen Beamten zum Schwiegersohn hatte. Eine Versetzung nach Berlin konnte ihn endlich vorwärtsbringen. Und wenn nicht, war er wenigstens weit genug weg von der kleinstädtischen Gesellschaft, in welcher der Apotheker eine wichtige Rolle spielte. War er erst einmal in der Reichshauptstadt, würde er ihm nicht mehr ständig über den Weg laufen. Bald stieß auch Luise ins gleiche Horn: Berlin, das sei doch aufregend. Und die Olympiade! Also bewarb er sich auf die Stelle eines Kriminalsekretärs bei der Reichskriminalpolizei in Berlin. Er rechnete sich kaum Chancen aus. Warum sollten sie ausgerechnet auf ihn warten? Umso überraschter war er, als er eine Woche später eine Zusage erhielt. Ohne weitere Prüfungen sollte er am 1. Januar 1936 seinen Dienst in Berlin antreten.
    Bald geschah, was niemand für möglich gehalten hätte, am wenigsten er selbst. Axel Daut, der Sohn des münsterländischen Kötters Wilhelm Daut, machte Karriere. Den Vorgesetzten gefiel seine sachliche, schweigsame Art. Womöglich hielten sie für Überlegenheit, was nur Unsicherheit gepaart mit westfälischer Dickköpfigkeit war. Bereits nach anderthalb Jahren war er Kriminalinspektor. Als Himmler zum Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei ernannt wurde, erließ er ein Dekret, wonach alle Kripobeamten die Möglichkeit bekamen, in die SS einzutreten. So, wie er der Partei beigetreten war, sah er auch diesmal keinen Grund, sich zu verschließen. 1939 überreichte ihm Arthur Neebe persönlich die Ernennungsurkunde zum Kriminalkommissar. Verbunden damit war seine Beförderung zum Hauptsturmführer.
    Berlin war eine neue Welt. Zwar fraß ihn die Arbeit oft regelrecht auf, doch zwischendrin gab es wunderbare Momente. Wenn Luise und er mit den Kindern in den Zoo gingen oder ins Strandbad Wannsee. Oder wenn er abends mit dem Fahrrad vom Werderschen Markt nach Hause fuhr durch die prachtvoll erleuchtete Stadt. Alles perdu, wie die Berliner sagten. Heute lag nachts alles in tiefstem Dunkel, und niemand rührte sich gerne aus dem Haus. Es konnte jederzeit Alarm geben, und dann wollte man bei den Liebsten daheim sein.
    Daut hatte inzwischen die Kantstraße erreicht und bog links auf den Kurfürstendamm Richtung Zoo ein. In der Ferne donnerte es. Da war es endlich nicht schwül, da zog gleich ein Gewitter auf. Selbst das Wetter war nicht mehr wie früher. Daut beschleunigte seine Schritte. Der kürzeste Weg zur Meineckestraße führte über die Fasanenstraße. Kaum war er rechts in die Straße abgebogen, sah er die Ruine. Sofort stiegen die Erinnerungen auf. Er würde diese Nacht nie vergessen. Daut warf einen kurzen Seitenblick auf das mit einem Bretterzaun abgetrennte Grundstück. Warum ließen sie bloß die Ruine der Synagoge stehen, wie sie war? Ein ausgebranntes Skelett. Daut kannte die Antwort, und es schauderte ihn.
    Schnell lenkte er seine Schritte Richtung Meineckestraße und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Die Vergangenheit muss man ruhen lassen. Es war ohnehin alles anders geworden seit Kriegsbeginn. Und

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