Codex Alera 06: Der erste Fürst
ruhigem Ton. »Das ist schließlich Sinn und Zweck des Feuerwirkens einer Schwertklinge. Es ist so gut wie unmöglich, eine kauterisierte Wunde zu behandeln.«
»Oh, sei still «, blaffte Amara. Nachdem sie einen Moment lang die Zähne zusammengebissen hatte, fügte sie hinzu: »Hoheit.«
Aria ging zu Gaius Attis, warf einen kurzen Blick auf seine Verletzungen und schüttelte den Kopf. »Die Stadt ist verloren. Wir stoßen jetzt zur Nachhut der Legionen. Wir müssen los.«
»Wie du wünschst«, sagte Attis. »Übrigens danke für dein Eingreifen. Es hätte mir sehr widerstrebt, ihr diese Befriedigung zu verschaffen.«
»Dank nicht mir«, antwortete Aria brüsk. »Dank lieber Amara. Ohne ihre Warnung wäre ich vielleicht gar nicht mehr am Leben.« Sie beugte sich vor, ächzte und hievte sich den Verwundeten über eine gepanzerte Schulter.
»Beeilt euch!«, rief einer der Männer von oben. »Die Vord haben die Mauer durchbrochen!«
Wortlos hob der Hohe Fürst Placida Bernard hoch. Cereus legte sich einen von Amaras Armen über die Schultern, hob sie neben sich auf die Beine und schenkte ihr ein gütiges Lächeln. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich dir diese Ehre erweise, Gräfin.«
»Bitte«, sagte Amara. Ihr war sehr schwindelig. »Tu dir keinen Zwang an.«
Die sechs hoben in einem Auftosen von Wind vom Dach ab, und Amara sah nicht viel Sinn darin, für das, was nun folgte, wach zu bleiben.
22
Die Eisschiffe durchflogen die bitterkalten Meilen in einer Geschwindigkeit, die bisweilen sogar den Wind übertraf, der sie antrieb. Marcus war sich ziemlich sicher, dass solch eine Leistung mathematisch nach jedem vernünftigen Maßstab unmöglich war. Der Kapitän des Schiffs, auf dem er mitfuhr, hatte die Akademie besucht, das hatte er zumindest behauptet. Er hatte irgendetwas in der Richtung gesagt, dass der Schwung der Fahrten leicht hangabwärts sich Stück für Stück summierte und dass der Druck der Stahlkufen der Schiffe das Eis unmittelbar darunter sogar in eine dünne Schicht Wasser verwandelte.
Marcus waren die Erklärungen gleichgültig. Es kam ihm alles fürchterlich zwielichtig vor.
Die Flotte machte alle sechs Stunden Pause, um Reparaturen zu erledigen, die aufgrund der starken Belastung, der die hölzernen Schiffsrümpfe ausgesetzt waren, unumgänglich wurden, und um Schiffen, die gezwungen gewesen waren, für längere Reparaturen anzuhalten, Gelegenheit zu geben, die übrigen einzuholen. Marcus genoss die Ruhepausen. Die gesamte Flotte hatte die Havarie der Schiffe mitangesehen, die gekentert und umgestürzt waren, und es gab kein einziges denkfähiges Wesen unter ihnen, dem nicht ganz genau klar geworden war, in was für einem Zustand seine Leiche sein würde, wenn sein eigenes Schiff solch einem Unglück zum Opfer fiel.
Aber die letzte Rast lag erst eine Stunde zurück. Die nächste kam erst nach der Morgendämmerung.
Marcus stand im Bug des Schiffs, das seinen Gefährten nach Osten folgte. Der Nachthimmel hatte noch nicht begonnen, sich durch den Anbruch der Dämmerung zu erhellen, aber sie konnte nicht mehr weit sein.
Er sah eine Weile zu, wie die Flotte über die endlose Straße vor ihnen dahinflog, während seine Gedanken sich in Kreisen drehten, die langsam ruhiger und unwichtiger wurden. Kurze Zeit später, als schon das erste bläuliche Licht im Osten aufschien, gähnte Marcus und wandte sich ab, um übers Deck zu dem schrankgroßen Raum zu gehen, der seine Kajüte bildete, und etwas zu schlafen. Er wusste nicht, ob das holpernde Schiff ihm überhaupt Ruhe gewähren würde, aber wenigstens würden ihn zur Abwechslung einmal nicht seine eigenen Gedanken wachhalten.
Er öffnete die Kajütentür, blieb angesichts eines unerwarteten Geruchs stehen, blickte dann finster drein und betrat den unbeleuchteten Raum, wobei er die Tür hinter sich zuzog. »Verfluchte Krähen. Wann bist du an Bord gekommen?«
»Beim letzten Halt«, grollte Sha und senkte die Stimme, so weit er nur irgend konnte.
Marcus lehnte sich mit den Schultern an die Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. In der drangvollen Enge der Kajüte berührte er den mageren Cane fast, und er hatte nicht vor, eine womöglich gewalttätige Reaktion hervorzurufen, indem er körperlichen Kontakt zu dem Jäger aufnahm. »Was für eine Nachricht überbringst du?«
»Gar keine«, sagte Sha. »Denn es gibt keine zu überbringen. An unseren Schwierigkeiten hat sich nichts geändert.«
Marcus knurrte. »Das heißt, dass
Weitere Kostenlose Bücher