Codex Alera 06: Der erste Fürst
Preis dafür zahlen muss«, sagte Marcus nachdenklich, »und es Varg zugleich unmöglich macht, etwas zu unternehmen, ohne sich selbst zu schaden.«
»Ja. Und Khrals Lakaien führen viele Blutsprecher an und haben gesagt, dass sie uns ihre Unterstützung entziehen werden, wenn so etwas geschehen sollte. Ihre Kraft jetzt zu verlieren wäre ungünstig und käme ungelegen.«
Nach allem, was Marcus von der Schlagkraft der Ritualisten in der Schlacht gesehen hatte, konnte ihre plötzliche Abwesenheit sich als geradezu tödlich erweisen. »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte er. »Was, wenn Khral einfach verschwinden würde?«
Ein scharrendes Geräusch verriet, dass der Schwanz des Cane mit dem borstigen Fell gegen die Wände der winzigen Kajüte schlug. »Das ist nicht unsere Art. Mein Herr würde nicht zur Verantwortung gezogen werden. Aber Khrals Gefolgsleute würde lauthals behaupten, dass die Dämonen es getan hätten – und es sind Dämonen auf jedem Schiff in der Flotte und nutzen ihre Kräfte, um sie zusammenzuhalten.«
»Also muss es dort geschehen, wo keiner der Holzwirker es unter irgendwelchen Umständen tun könnte«, sagte Marcus. »Und dann?«
Ein grollendes Auflachen drang aus Shas Brust. »Es gibt unter den Blutsprechern die uralte Tradition, allein und ohne Vorankündigung zu Meditationspilgerreisen aufzubrechen, um ihre Frömmigkeit und ihre Ergebenheit dem Canimvolk gegenüber zu beweisen und geistige Erleuchtung zu suchen.«
»Das könnte funktionieren«, sagte Marcus.
»Wenn es möglich wäre«, sagte Sha. »Ist es das?«
Marcus lächelte.
Der schwierigste Teil des Plans bestand darin, überhaupt unbeobachtet auf Khrals Schiff vorzudringen: Die verschiedenen Schiffe der Flotte waren einer Vielzahl von Belastungen ausgesetzt. Manche hatten Segel oder Takelage verloren und kamen so langsamer voran. Andere hatten Brüche an Kiel und Steuerruder davongetragen, so dass ein langer Halt erforderlich war, um sie zu reparieren. Die Formation, die die Flotte ursprünglich angenommen hatte, war von der unberechenbaren Natur der Reise vollkommen durcheinandergebracht worden, und jetzt waren die Schiffe der Aleraner und Canim gründlich miteinander gemischt.
Auf jedem Schiff hatte sich im Laufe der beiden Tage ihrer rasanten Reise ein ähnlicher Ablauf eingespielt. An den Haltepunkten strömten so gut wie alle – Mannschaft wie Fahrgäste – auf festen Boden hinaus. Selbst die altgedientesten Seebären an Bord der Eisschiffe waren langsam etwas grün um die Kiemen (oder wo auch immer Canim grün anliefen, dachte Marcus), und sie waren froh über die Gelegenheit, an einer Stelle zu stehen, ohne von den Beinen gerissen oder gegen einen ihrer Gefährten geschleudert zu werden.
Die aleranischen Holzwirker, die darum kämpften, die Schiffe zusammenzuhalten, bildeten da keine Ausnahme. Marcus beobachtete, wie die vier Männer, die auf Khrals Schiff mitfuhren, wie betrunken die Leitern zum Boden hinuntertaumelten. Dann schlurften sie davon, um sich auf einen umgestürzten Baumstamm in der Nähe zu setzen und unter sich eine Flasche mit irgendeinem üblen Gebräu kreisen zu lassen, das die dilettantischen Schnapsbrenner der Legionen hergestellt hatten. Betäubte Legionares und Canim mit hängenden Ohren nutzten gleichermaßen die Gelegenheit, sich die Beine zu vertreten, vereint durch einen quälenden gemeinsamen Feind – oder zumindest von einer gemeinsamen Qual.
Khrals Vorsichtsmaßnahmen hatten umsichtig weiter Bestand. Sein Schiff war mehr als achtzig Schritt entfernt von jedem anderen angehalten worden, und Wachen waren vorn wie achtern an Backbord und Steuerbord aufgestellt. Vor dem Hintergrund der geriffelten weißen Eisfläche würde jeder, der sich näherte, sofort gesehen werden.
Marcus und Sha schlichen an einem aleranischen Schiff entlang, das parallel zu dem größeren Canimgefährt abgestellt war, und Marcus wartete, bis ein nicht in die Jahreszeit passender, eiskalter Windstoß eine Wolke aus Schnee und Graupel in die Luft getrieben hatte, die in einem gefrierenden Schleier um sie herumwirbelte. Dann zog Marcus das Schwert, ächzte vor Anstrengung und hackte ein Loch, das etwas breiter als sein eigener Fuß war, ins Eis. Er streckte eine Hand durchs Eis zur nackten Erde darunter, rief seinen Erdelementar, Vamma, und der Boden erzitterte. Das Eis bekam Risse, und die Kälte verschlang Sha und ihn ohne jedes Geräusch.
Der Cane klammerte sich mit einer Pfotenhand an Marcus’
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