Codex Alera 06: Der erste Fürst
ich es in der kurzen Zeitspanne konnte, und du bist ein fähiger Schüler. Aber …«
»Aber hierfür bin ich nicht bereit«, sagte Tavi.
Alera sagte eine ganze Weile nichts. Dann antwortete sie: »Ich glaube, er wäre stolz auf das, was du geleistet hast. Ich glaube, er wäre stolz auf dich gewesen.«
Tavi blinzelte schnell, um seine Augen gegen eine plötzliche Reizung zu schützen, die sie überfiel.
»Du solltest dich ausruhen, junger Gaius. Deine Kraft zurückgewinnen.« Alera kam nahe heran und berührte seine Schulter sacht mit einer Hand. »Du wirst sie in den kommenden Tagen brauchen.«
30
Amara musterte den Ritter, der vor dem Kommandozelt des Princeps Wache hielt, und sagte: »Ich verstehe nicht, warum du nicht zumindest hineingehen und nachfragen kannst.«
Der junge Mann starrte kalt über Amaras Kopf hinweg den Marathäuptling an und sagte: »Keine Barbaren.«
Amara kämpfte ihre Verärgerung nieder und gab sich ausdruckslos, sachlich. Doroga seinerseits erwiderte den starren Blick des jungen Mannes unverwandt, einen Ellenbogen auf den Kopf seiner Keule gestützt. Der muskulöse Marat ließ überhaupt keine Reaktion auf das halbe Dutzend sehr neugieriger Legionares erkennen, die von dem jungen Ritter befehligt wurden. Er strahlte geduldige Zuversicht aus und überließ Amara das Reden – ein Glück!
»Wie genau lauten deine Befehle, Ritter …«
»Ceregus«, blaffte der junge Ritter.
»Ritter Ceregus«, sagte Amara höflich. »Ich muss nachfragen, ob du einen besonderen Befehl deines rechtmäßigen Vorgesetzten befolgst.«
Der junge Ritter lächelte hölzern. »Wenn du dich erinnerst, was dem letzten Princeps zugestoßen ist, der in diesem Tal Barbaren begegnet ist, dann hast du alle Gründe, die du brauchst.«
Doroga brummte: »Ich habe ihn auf einem Garganten mitreiten lassen und ihn und seine Leute davor bewahrt, von den Herdentötern gefressen zu werden. Dann hat euer Erster Fürst, der alte Sextus, mir dieses Hemd geschenkt.«
Doroga zupfte an der kostbaren, aber abgetragenen aleranischen Tunika, die beträchtlich umgearbeitet worden war, um ihm zu passen.
Ceregus’ Augen verengten sich, und er setzte zum Sprechen an.
»Der gute Häuptling vergisst, den Rückzug aus Riva zu erwähnen«, mischte Amara sich ein und unterbrach damit den jungen Ritter. »Zu dem Zeitpunkt haben Doroga und die anderen Mitglieder seines Clans Zehntausenden von Zivilisten das Leben gerettet und eine Aufspaltung der Truppen verhindert, die vielleicht Hunderte oder gar Tausende Legionares das Leben gekostet hätte.«
»Du wagst es anzudeuten, dass die Legionen …«, begann der junge Ritter.
»Ritter Ceregus, ich deute an, dass du eine herbe Enttäuschung erleben wirst, was die Reaktion deiner Offiziere auf deine Entscheidung betrifft. Und ich rate dir, deinerseits ihren Rat einzuholen, bevor du dich in einer äußerst unerfreulichen Lage wiederfindest.«
»Frau, ich weiß nicht, für wen du dich hältst, aber Drohungen kann ich nicht ausstehen.«
»Ich bin Calderonus Amara, und du findest im Augenblick hinter den Wällen meines Mannes Schutz«, antwortete sie.
Ritter Ceregus kniff die Augen zusammen. »Und ich bin Rivus Ceregus, dessen Onkel, der Hohe Fürst Rivus, deinem Mann seinen Titel verliehen hat.«
Amara lächelte ihn liebenswürdig an. »Nein, mein Junge. Das war Gaius Sextus, wie du dich sicher erinnerst.«
Auf Ceregus’ Wangen erschienen rote Flecken. »Die Angelegenheit ist erledigt. Der Barbar geht nicht hinein.«
Amara sah ihn einen Moment lang unverwandt an. Der Neffe eines Hohen Fürsten konnte durchaus eine Menge Einfluss haben, je nachdem, wie hoch er in Fürst Rivus’ Gunst stand. Vielleicht lohnte es sich, zunächst einmal nachzugeben und sich fürs nächste Mal eine besondere Erlaubnis zu verschaffen, Doroga einzulassen. Aber sie hatten wirklich keine Zeit für die Art von Torheit. Die Vord hatten den ersten Wall noch nicht angegriffen, doch es würde nicht mehr lange dauern, bis sie es taten. Ihre Kundschafter, Plänkler, Vordritter und Fänger spukten schon am Westrand des Tals herum.
Schritte ertönten hinter ihr, und Senator Valerius näherte sich gemeinsam mit zwei in Zivil gekleideten Leibwächtern dem Zelt. Er strahlte Ceregus an und sagte: »Guten Abend, verehrter Ritter. Wärst du wohl so freundlich?«
Ceregus neigte den Kopf vor dem Senator und erwiderte sein Lächeln. Er machte eine ruckartige Kopfbewegung zu seinen Mitwachen hinüber, damit sie
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