Codex Alera 06: Der erste Fürst
geschaffen, um Ratschläge zu erteilen und Unterstützung zu bieten, junger Gaius«, sagte Alera. »Sogar, als ich auf dem Höhepunkt meiner Kraft stand, hätte ich dir auf die Weise nicht helfen können. Ich kann und werde dir helfen, sie zu finden. Ich kann und werde deine Bemühungen unterstützen, ihr zu Leibe zu rücken, wie ich es schon tue, seit du in Antillus an Land gegangen bist. Aber das ist die äußerste Grenze meiner Macht. Du wirst allein siegen, oder auch nicht.«
Tavi schwieg mehrere Augenblicke lang, bevor er sagte: »Das tue ich schon mein ganzes Leben. Das hier ist auch nichts anderes.«
Alera hob das Kinn, und ein kleines Lächeln spielte um ihren angespannten Mund. »Weißt du, er hat immer über dich geredet.«
Tavi runzelte die Stirn. »Meinst du … meinen Großvater?«
»Ja. Als du an der Akademie warst. Und danach. Er hat über dich gewacht, obwohl du es nie erfahren hast. Oft hat er nach dir gesehen, wenn du geschlafen hast. Sich zu vergewissern, dass du in Sicherheit warst, schien ihm … eine Art Befriedigung zu verschaffen, wie ich sie sonst nie bei ihm erlebt habe.«
Tavi runzelte stumm die Stirn und sah zur Decke des Zelts hinauf. Alera sagte nichts und ließ ihn nachdenken. Sie verfügte über buchstäblich übermenschliche Geduld. Wenn er eine Woche brauchte, um seine Antwort abzuwägen, würde sie immer noch da sein und warten, bis er bereit war. Es war ein Teil ihrer Persönlichkeit, der tröstlich und lästig zugleich war. Bei ihr konnte man ganz einfach nicht auf Zeit spielen.
»Ich … Wir haben nicht sehr oft miteinander gesprochen«, sagte Tavi.
»Nein«, antwortete sie.
»Eines habe ich nie verstanden … Wenn er die ganze Zeit über wusste , wer ich war, warum hat er dann nie … nie mit mir sprechen oder auf mich zugehen wollen?« Tavi schüttelte den Kopf. »Er muss doch auch einsam gewesen sein.«
»Entsetzlich einsam«, sagte Alera. »Obwohl er das natürlich nie offen eingestanden hätte. Er war vielleicht der einsamste Aleraner, den ich je gekannt habe.«
»Warum dann?«, fragte Tavi.
Alera wandte sich zur Seite und runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich kenne deine Familie gut, junger Gaius. Aber ich kann nicht behaupten, dass ich auch seine Gedanken gekannt hätte.«
Tavi sah sie aus zusammengekniffenen Augen an und vermutete, dass er begriffen hatte, was sie andeutete. »Wenn du aber raten solltest?«
Sie lächelte ihn beifällig an. »Sextus hatte eine Gabe, über die viele in eurer Blutlinie verfügen, eine Art instinktiver Hellsichtigkeit. Du hast sie dann und wann selbst unter Beweis gestellt.«
»Ich hätte eher gedacht, das wärst du gewesen«, sagte Tavi.
Sie lächelte verschmitzt. »Mmm. Ich habe heute Abend doch schon angemerkt, wie viel deine Leute tun, ohne dass es ihnen bewusst wäre. Da ich von ihnen geschaffen worden bin, folgt daraus vielleicht, dass ich genauso blind und in meiner Wahrnehmung beschränkt bin. Es ist wohl durchaus möglich, dass ich mir irgendwie eines Wissens nicht bewusst bin, das ich unwillkürlich an dich weitergebe.«
»Und Sextus?«, hakte Tavi nach.
Alera nickte und hob die Hand, um sich eine herunterhängende Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen, eine sehr menschliche Gebärde. Die Fingernägel ihrer Hand waren schwarz geworden. Adern der Dunkelheit hatten sich über ihre Hände und Handgelenke ausgebreitet. Tavi stählte sich gegen die weiteren Beweise des Verfalls der Elementarin.
»Sextus verfügte in stärkerem Maße über diese Begabung als irgendein anderer Spross des Hauses, dem ich gedient habe«, sagte Alera. »Ich glaube, er hat schon vor Jahren gespürt, dass der Sturm kommen würde, seit kurz nach Septimus’ Tod. Er dachte wohl, dass er derjenige sein würde, der euer Volk sicher durch die bewegten Zeiten führt – und dass es sicherer für dich wäre, wenn du auf Abstand gehalten würdest, bis sich alles wieder beruhigt hat.« Sie seufzte. »Wenn die Vergiftung nicht gewesen wäre, hätte sich das vielleicht sogar bewahrheitet. Wer weiß das schon?«
»Er wollte mich beschützen«, sagte Tavi leise.
»Und deine Mutter, glaube ich«, sagte Alera. »Was auch immer Sextus selbst von ihr gehalten haben mag, er wusste, dass Septimus sie liebte. Das hatte für ihn durchaus Gewicht.«
Tavi seufzte und schloss die Augen. »Ich wünschte, ich hätte ihn besser gekannt. Ich wünschte, er wäre jetzt hier.«
»Das wünschte ich auch«, sagte Alera. »Ich habe dir so viel beigebracht, wie
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