Codex Alera 06: Der erste Fürst
sie wieder anführst.«
Octavian warf den Kopf zurück, als Fidelias ihm davon erzählte, und lachte. Seine Stimme klang im Schutze des Windgewirks, das er um sie herum gewoben hatte, ein wenig flach. »Ein shuaranischer Rudelführer mit nur einem Ohr? Tarsh?«
»Ja, Hoheit, genau der.«
Octavian nickte. Die beiden gingen die Verteidigungswälle des Lagers ab, während der Sonnenuntergang sich nach einem weiteren harten Marschtag dem Ende zuneigte, und inspizierten die Arbeit der Legionen und Krieger. »Maximus hat sich schon einen Vorwand gewünscht, um Tarsh eins auszuwischen, seit wir in Molvar seine Bekanntschaft gemacht haben. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Varg ein Problem damit hat, wenn man ihm einen Grund verschafft, niemanden unter Tarshs Befehl zu stellen«, erklärte Octavian. »Was ist mit den Überlebenden aus Riva?«
Die Legionen hatten eine Handvoll Leute gefunden, die so schlau gewesen waren oder das Glück gehabt hatten, sich in den Tagen der Besatzung vor den Vord verstecken zu können. Keiner von ihnen war in einem Zustand, den man als gut bezeichnen konnte, obwohl nur wenige von ihnen verletzt waren. »Die Kinder lassen erste Anzeichen erkennen, dass sie sich zu erholen beginnen«, sagte Fidelias. »Die anderen … Manche von ihnen haben Angehörige, die vielleicht noch am Leben sind. Wenn wir sie an einen warmen, ruhigen und sicheren Ort bringen, haben sie eine Chance.«
»Einen warmen, ruhigen und sicheren Ort«, sagte der Princeps, und der Ausdruck seiner Augen verhärtete sich. »Das kann sogar in Friedenszeiten etwas Seltenes sein.«
»Wie wahr.«
Der Princeps blieb wie angewurzelt stehen. Sie waren ein kleines Stück von den nächsten Wachtposten entfernt. »Wenn du es nach bestem Wissen und Gewissen einschätzen solltest … Könnte Crassus diese Streitmacht in meiner … Abwesenheit befehligen?«
»In deiner Abwesenheit, als dein Stellvertreter, ja«, antwortete Fidelias sofort. »Für den Fall, dass wir dich verlieren, Hauptmann? Nicht lange.«
Octavian musterte ihn scharf. »Warum?«
»Weil die Canim Varg respektieren und Varg wiederum dich respektiert. Die Freie Aleranische Legion achtet dich – aber wenn du nicht hier wärst, würden sie Vargs Führung folgen.«
Der Princeps knurrte und runzelte die Stirn. Dann fragte er: »Willst du mir damit sagen, dass ich einen Cane zum stellvertretenden Befehlshaber unserer Truppen ernennen sollte?«
Fidelias öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er blinzelte, während er darüber nachdachte. »Ich glaube … dass Varg größere Chancen hätte, die Streitmacht zusammenzuhalten, als Crassus oder irgendjemand sonst aus der Hierarchie der Ersten Aleranischen Legion.«
»Außer vielleicht Valiar Marcus«, sagte Octavian nachdenklich.
Fidelias schnaubte. »Ja, nun gut, aber das kommt ja jetzt nicht mehr infrage, nicht wahr?«
Octavian musterte ihn unverwandt und sagte nichts.
Fidelias legte den Kopf schief, als ihm langsam dämmerte, was Octavian meinte. »Oh, Hoheit, das könntest du unter keinen Umständen tun.«
»Warum nicht?«, fragte Octavian. »Niemand bis auf meine Leibwache und Demos’ Mannschaft kennt die Wahrheit über dich. Sie können alle ein Geheimnis bewahren. Also befehligt Marcus die Streitmacht, bis sie sich mit den Legionen vereinigen kann, gibt Crassus’ Befehle weiter und wird vom Maestro im Auge behalten – der, wie ich glaube, immer noch nicht so recht weiß, warum du nicht an einem Kreuz hängst und von den Vord verschlungen wirst.«
»Gelegentlich bin ich mir selbst etwas unsicher, was das betrifft.«
Octavians Gesichtsausdruck verhärtete sich kurz. »Ich werde mit deinem Leben tun, was mir richtig erscheint. Es steht mir zu, es einzusetzen. Vergiss das nicht.«
Fidelias runzelte die Stirn und neigte leicht den Kopf. »Wie du wünschst, mein Fürst.«
»Richtig«, sagte Octavian, wobei ein gewisses Maß an bitterer Erheiterung in seinem Ton mitschwang.
Fidelias musterte den jungen Mann einen Moment lang und begriff, dass … der Princeps von irgendeiner Entscheidung hin- und hergerissen wurde. Normalerweise war er so selbstbewusst, so getrieben. So hatte Fidelias ihn noch nie gesehen. Es lauerte Unsicherheit hinter seinen Worten, ein Zögern: Octavian war sich selbst nicht sicher, wie seine nächsten Schritte aussehen würden.
»Planst du, die Truppe zu verlassen, Hauptmann?«, fragte Fidelias vorsichtig.
»Irgendwann wird das unumgänglich sein«, antwortete Octavian ruhig.
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